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Leonardos Drachen

Leonardos Drachen

Titel: Leonardos Drachen
Autoren: Alfred Bekker
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Der Hinterhalt
    Im Jahr 1465   …
     
    V om Kamm der Anhöhe aus konnte man weit über das Land sehen. In der Ferne erhoben sich die sternförmig angelegten Befestigungsmauern von Florenz. Aus einem der Stadttore war gerade eine Kolonne von bewaffneten Reitern hervorgekommen. Banner flatterten im Wind.
    „Unser Stadtherr Piero de’ Medici und sein Gefolge“, stellte Leonardo fest. „Sieh an, ein Ausritt ins Umland   …“
    „Sag bloß, das kannst du alles von hier aus erkennen“, meinte Clarissa spöttisch und strich sich eine Haarsträhne aus der schweißbedeckten Stirn. Der Aufstieg war ziemlich anstrengend gewesen.
    „Nein, ich weiß es von meinem Vater, der ja schließlich für den Stadtherrn arbeitet“, gab Leonardo zu. Dann stutzte er plötzlich. In der Nähe einer Baumgruppe bewegte sich etwas. Mehrere Männer, die mit Armbrüsten und Hakenbüchsen bewaffnet waren, gingen dort in Stellung. Genau an dieser Stelle führte auch der Weg der Reiterkolonne vorbei   …
    „Vorbereitungen für einen Überfall!“, durchfuhr es Leonardo.
     
    „ K omm schon!“, rief Leonardo. „Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es, die Reiter abzufangen. Die Straße macht einen weiten Bogen und sie müssen auf jeden Fall die Brücke über den Fluss nehmen, bevor sie an den Wegelagerern vorbeikommen.“
    „Warte, Leonardo!“, rief Clarissa.
    Sie waren beide dreizehn Jahre alt. Clarissa hatte dunkelbraunes, langes Haar, das sie zu einem lockeren Zopf geflochten hatte, der ihr bis zur Hüfte hing. Sie trug ein Kleid, das fast bis zu den Knien reichte und eigentlich für das Klettern überhaupt nicht geeignet war. „Ich hätte mich von Anfang an gar nicht darauf einlassen sollen, mit dir hierherzukommen“, meinte sie. „Leonardo, so warte doch!“
    „Nein, es muss schnell gehen!“
    Er trug dunkle Hosen, eine Weste aus Leder und ein weißes Hemd. Seit sein Vater in Florenz zu einer hoch angesehenen und recht vermögenden Persönlichkeit geworden war, bestand er darauf, dass Leonardo andauernd Schuhe trug. Früher, als er noch in dem einen Tagesritt entfernten Dorf Vinci unter Bauern gelebt hatte, war Leonardo fast immer barfuß gelaufen. Und so waren ihm die Schuhe noch immer sehr ungewohnt. Sie machten einen nur langsamer, so empfand er das.
    Er stolperte und rutschte mehr den Hang hinunter, als dass er lief. Als er unten angekommen war, riss er sich die Schuhe förmlich von den Füßen und warf sie zur Seite. Wenn der Stadtherr von Florenz rechtzeitig vor einem Überfall gewarnt werden konnte, dann war das auf jeden Fall wichtiger als ein Paar Schuhe!
    Clarissa war hinter ihm zurückgeblieben. „Sie wird mich schon finden“, dachte er.
    Eigentlich waren sie hierhergekommen, um Tiere zu beobachten. Vor allem der Flug von Vögeln interessierte Leonardo. Die Anhöhe war ein guter Platz, um sie sich anzuschauen. Schwalben, Krähen, Tauben, hin und wieder ein Adler oder ein Bussard, der auf die Jagd ging. Die Art und Weise, wie sie ihre Flügel einsetzten, faszinierte ihn jedes Mal aufs Neue. Leonardo hatte festgestellt, dass sie sich dabei stark unterschieden. Manche hielten die Flügel ganz ruhig und ließen sich einfach nur von den Winden tragen. Andere flatterten wie wild. Eines Tages, so hatte sich Leonardo vorgenommen, würde auch er fliegen. Und da der Mensch sich nun einmal leider nicht einfach Flügel wachsen lassen konnte, musste man dafür eine Maschine bauen!
    Leonardo hatte schon, als er noch bei seinem Großvater in Vinci gelebt hatte, Dutzende Zeichnungen solcher Flugmaschinen angefertigt. Allerdings war es sehr viel schwieriger, eine solche Maschine auch wirklich zu bauen, als sie sich nur auszudenken. Das hatte Leonardo schnell gemerkt. Und doch war er nicht gewillt aufzugeben. Irgendwann, das hatte er sich vorgenommen, würde er es schaffen. Dazu musste er nur die Vögel genau genug beobachten, denn sie konnten ja schließlich fliegen und hatten dieses Geheimnis irgendwie zu entdecken vermocht.
    Clarissa war mit ihm gekommen, weil sie Langeweile hatte und weil Leonardo ihr außerdem davon vorgeschwärmt hatte, was es da draußen alles zu entdeckengab. Da war noch etwas anderes, was Leonardo auf der Anhöhe gesucht hatte. Dort, wo der Felsen aus dem Gras und dem Moos am Boden herauskam und kleine Spalten und Höhlen zu finden waren, gab es auch viele Eidechsen und Salamander. Sie huschten über den Boden oder verharrten mit einer für den Jungen beeindruckenden Ruhe, um sich dann umso plötzlicher zu
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