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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos
Autoren: Ildikó von Kürthy
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«Hauptsache Liebe?»

    Auf dem Grabstein steht mein Name – und das ist schon mal kein guter Anfang. Was mir die Stimmung zusätzlich vermiest: Mein Name ist auch noch falsch geschrieben. Ich bin bei so was normalerweise wirklich nicht kleinlich, aber bei einer derart existenziellen Angelegenheit, also ich weiß nicht, ich finde, da darf man doch etwas mehr Sorgfalt erwarten.
    Meine Füße fühlen sich taub an, ich möchte fast sagen wie abgestorben, und durch den Schnee dringen Geräusche nur gedämpft zu mir.
    Ich habe nie darüber nachgedacht, wie das aussehen würde: mein Name auf einem Grabstein. Warum auch? Erst neulich habe ich mir den Kopf über neue Visitenkarten zerbrochen. Ich bin nicht in dem Alter, wo man sich fragt, wie sich der eigene Name auf poliertem schwarzem Granit machen würde.
    Aber wie so häufig im Leben war auch in diesem Fall der Tod ungebeten und überraschend hereingeschneit und hatte den Beteiligten keine Zeit gelassen, sich über ein ansprechendes Grab-Design zu verständigen.
    Ich muss es ganz klar so sagen: Diese Grabstätte sieht unmöglich aus.
    Meine Eltern, als nächste Verwandte verantwortlich für die Beerdigung, hatten sowohl Kosten als auch Mühen gescheutund im Internet bei «traurigaberguenstig.de» für 499   Euro einen Kiefernsarg für Selbstabholer gekauft.
    Den Grabstein hatte meine Mutter ausgesucht. Sie ist eine wunderbare Frau, die mit einem aufsehenerregend schlechten Geschmack ausgestattet ist und dem Wunsch, in ihrem Leben möglichst viele Schnäppchen zu ergattern.
    Die Prospekte mit den Sonderangeboten, die dem «Wies badener Kurier» beiliegen, liest sie noch aufmerksamer als die Todesanzeigen. Ihre Lieblingsseiten kommentiert sie dann gerne beim Frühstück, was bis heute zu gewöhnungsbedürftigen Äußerungen führt wie: «Eins achtzig für hundert Gramm Leberkäse? Haben wir noch Platz in der Kühltruhe? Das ist ein Jahrhundert-Tiefstand!»
    Ich glaube nicht, dass ich, solange ich finanziell von meinem Elternhaus abhängig war, jemals ein Kleidungsstück getragen habe, das nicht runtergesetzt war oder aus einer fragwürdigen Aktion stammte wie «Nehmen Sie vier, bezahlen Sie zwei».
    Auch bei der Grabsteinbeschaffung war es meiner Mutter gelungen, sich an ihrem bewährten Prinzip «günstig und geschmacklos» zu orientieren. Sie hatte sich für das Auslaufmodell «Tower of Trauer» entschieden: einen hohen, schmalen Stein, angeblich nur «mit kleinen Mängeln», der aussieht wie ein ausgebranntes Hochhaus.
    Was meine Mutter ganz offensichtlich nicht bedacht hatte, war: Mein Name braucht viel Platz, und zwar mehr, als dieses spindeldürre Grabmal bietet. Ein langer Name trifft hier also auf einen schmalen Stein, und beide gehen, ähnlich wie Dick und Doof, eine recht unansehnliche Paarung ein.
    Um alle wesentlichen Informationen unterzubringen, hatte der Steinmetz in seiner Not sowohl meinen Vor- alsauch meinen Nachnamen in der Mitte getrennt – und dabei leider einen Bindestrich vergessen. Irgendwie sieht es jetzt so aus, als hätten in diesem Einzelgrab zwei zwergwüchsige Schwestern platz- und kostensparend ihre letzte Ruhe gefunden.
     
    ROSE
    MARIE
    GOLD-
    HAUSEN
     
    Das hat man eben davon, wenn man sich nicht selbst um alles kümmert, denke ich verbittert, während jemand, für meinen Geschmack etwas zu schwungvoll, ein Bund frühe Tulpen in die offene Grube schmeißt.

    Die Eiseskälte kriecht mir in alle Knochen. Neben meinen frierenden Eltern bin ich die Einzige, die hier ausharren muss, bis die Schlange der Beileidsbekunder abgearbeitet und auch der letzte zum Leichenschmaus unterwegs ist.
    Ein unappetitliches Keuchen reißt mich aus meinen düsteren Überlegungen. Zunächst sehe ich nur einen Haufen Rosen auf zwei knöchrigen Säbelbeinchen. Ein dürrer, alter Mann, der unter der Last eines riesigen Blumenkranzes beinahe zusammenbricht, bahnt sich seinen Weg durch die Trauergemeinde.
    Es ist Heinz-Peter. Der alte Angeber hat sich seinen Auftritt bis fast zum Schluss aufgehoben. Nach der Scheidung keinen Cent rausrücken wollen, aber dann bei der Beerdigung mit einer Tonne roter Rosen anrücken. Die langstieligen, versteht sich. Auf der Trauerschleife steht: «Ein letzter Gruß für dich, liebe Rosemarie. In tiefer Trauer. Dein Heinz-Peter.»
    Du Lump, denke ich, das Einzige, worum du trauerst, ist doch die Abfindung, die sie dir aus deinen maroden Rippen geleiert hat. Ich muss mich zurückhalten, ihn nicht ins offene Grab zu schubsen. Aber ich
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