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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos
Autoren: Ildikó von Kürthy
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weiß, das wäre das Letzte, was meine geliebte Tante gewollt hätte. Sie hat sich ja wohl kaum nach sechs Monaten von Heinz-Peter scheiden lassen, um dann eine Ewigkeit mit ihm auf engstem Raum verbringen zu müssen.
    «Heinzelmann» hatte sie ihn nach vier Wochen Ehe getauft. Und das war nicht nett gemeint, sondern die angemessene Bezeichnung für den albernen Gernegroß, als den sie ihn zunehmend empfand.
    «Heinzelmann war ein Fehler», hatte sie zu mir vor einem Jahr gesagt, als sie übers Wochenende nach Berlin gekommenwar. «Ist es nicht absurd, dass ich mit siebenundsiebzig Jahren tatsächlich nochmal an den falschen Mann gerate? Als hätte ich in all den Jahren nichts gelernt.» Sie schüttelte den Kopf, eher belustigt als zornig, denn sie hatte es sich abgewöhnt, sich zu ärgern. «Das kostet Zeit und Kraft, und von beidem habe ich nicht mehr viel. Was ich aber gelernt habe, ist, die Fehler, die ich mache, schnell zu korrigieren. Die Scheidung läuft bereits. Ich kann unmöglich mit diesem selbstgefälligen Gockel zusammenbleiben.»
    Wir hatten in Hamburg auf einer Bank an der Alster gesessen. Rosemarie hatte den Ehering von ihrem schmalen Finger gestreift, gegen die Wintersonne gehalten und mich gefragt: «Was meinst du, Marie, einer meiner Backenzähne braucht eine neue Goldkrone. Soll ich den Ring einschmelzen lassen?»
    Seit acht Jahren trafen wir uns immer im Januar, um gemeinsam zurückzuschauen und Vorsätze zu fassen. Wir lachten von morgens bis abends, jammerten, fluchten und durchlebten die Freuden und Kümmernisse des vergangenen Jahres noch einmal gemeinsam. Meine Wünsche und guten Absichten schrieb ich in eines dieser potthässlichen, in chinesische Billigseide gebundenen Notizbücher, in die ich schon meine Träume notiert hatte, als sie sich noch hauptsächlich um Ferien auf dem Ponyhof, die Liebe zu meinem Grundschullehrer, die Liebe zu meinem Flötenlehrer und die Liebe zu meinem Turnlehrer drehten.
    Meine Tante und ich erstellten Listen, was wir in Zukunft besser machen wollten, was wir lassen wollten und was wir zwar lassen wollten, aber ehrlicherweise niemals lassen würden. Die Liste mit den guten Vorsätzen, die man sich nicht mehr guten Gewissens machen kann, wurde imLaufe der Jahre immer länger. Tante Rosemarie fand, das sei ein gutes Zeichen. «Eine Liste mit guten Vorsätzen ist wie ein Kleiderschrank: Beide muss man regelmäßig ausmisten. Eine Hose, die du länger als zwei Jahre nicht getragen hast, gehört in die Altkleidersammlung. Jeder gute Vorsatz, den du nicht erfüllst, braucht eine Ausrede, warum du ihn nicht erfüllt hast. Das verschwendet Energie. Also sollten wir alle Kleider, Männer und Vorsätze loswerden, die nicht mehr zu uns passen. Ich kann wirklich von Glück sagen, dass mein erster Mann so zeitig gestorben ist und ich die letzten dreiundzwanzig Jahre Zeit hatte, das Leben, die Männer und mich selbst von anderen Seiten kennenzulernen. Deshalb tauge ich nicht mehr für die traditionelle Ehe.»
    «Ich ja schon. Bloß will mich keiner heiraten.»
    «Wie lange bist du jetzt mit Frank zusammen?»
    «Fast acht Jahre.»
    «Marie, tu mir bitte den Gefallen und sag nicht automatisch Ja, bloß weil dich jemand fragt, ob du ihn heiraten willst. Drei Monate Bedenkzeit sind das Minimum.»
    «Nach fast acht Jahren könnte man wohl kaum von einer vorschnellen Entscheidung sprechen.»
    «Je länger man auf etwas wartet, desto leichter vergisst man, ob das Warten überhaupt lohnt. Die Länge des Wartens ist kein Qualitätsbeweis. Ich hätte mir zwei meiner drei Ehen sparen können, wenn ich nicht im Überschwang der Gefühle vorschnell Ja gesagt hätte.»
    «Du bist eben viel impulsiver als ich. Du weißt doch, wie rational ich bin. Ich habe noch nie etwas aus dem Überschwang meiner Gefühle heraus entschieden.»
    «Im Grunde haben wir das gleiche Problem: Ich mache meine Fehler aus Unvernunft, du aus Vernunft. Lass dir Zeit,Marie, und so tantig das jetzt auch klingen mag: Bau nicht nur auf deinen Verstand. Hör auf dein Herz.»
    «Mein Herz hat doch nie sprechen gelernt. Wozu auch? Es hätte ihm ja niemand zugehört.»
    «Ach, Liebchen, wenn man dich so reden hört, könnte man meinen, du seist immer noch das unsichere Mädchen mit der Zahnspange, das die Pausen auf dem Schulhof allein verbringt.»
    «Wer einmal schüchtern und unsicher ist, bleibt es eben sein Leben lang.»
    «Zum Glück irrst du dich. Bitte versprich mir etwas, Marie: Vergiss endlich die Zahnspange und
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