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Leonardos Drachen

Leonardos Drachen

Titel: Leonardos Drachen
Autoren: Alfred Bekker
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Leonardo.
    „Ah, ein Naturfreund bist du also“, stellte der Stadtherr fest. „Da du mir wohl das Leben gerettet hast, binich dir etwas schuldig – und deshalb kannst du ruhig freiheraus sagen, wenn ich dir irgendwie einen Gefallen erweisen kann.“
    „Das könnt Ihr durchaus“, meinte Leonardo.
    „Nur heraus damit! Wenn es nicht gar zu unverschämt ist, will ich dir deinen Wunsch gerne erfüllen.“
    „Es wäre wunderbar, wenn Ihr mir gestatten würdet, in den Bibliotheksgewölben herumzustöbern, die der alte Cosimo angelegt hat“, sagte Leonardo. „Es ist schon einige Zeit her, dass Euer Vorgänger Cosimo mir erlaubte, in die Schriften zu sehen, die er sein Leben lang gesammelt hat.“
    Pieros Augenbrauen zogen sich zusammen. „Bin ich vielleicht doch etwas zu unverschämt gewesen?“, ging es Leonardo durch den Kopf. Aber warum sollte Piero es ihm nicht gestatten, wo es doch selbst Cosimo der Alte getan hatte. Leonardo erinnerte sich noch gut daran, wie er den alten Cosimo zusammen mit seinem Vater besucht und zum ersten Mal diese einzigartige Bibliothek betreten hatte. Noch nie zuvor hatte Leonardo so viele Bücher und Schriften an einem Ort gesehen. Und was für Schriften das waren! Sie kamen aus aller Herren Länder. Cosimo der Alte hatte als junger Mann damit begonnen, sie auf seinen Handelsreisen als Wollhändler zu sammeln. Und später, nachdem er der reichste und mächtigste Mann von Florenz und ganz bestimmt auch einer der reichsten Männer ganz Italiens geworden war, hatte er seine Boten in alle Himmelsrichtungen geschickt, um nach alten Dokumenten und Büchern zu suchen. Bücher vor allem, die aus einer Zeit stammten,als das Christentum noch nicht die vorherrschende Religion in Europa gewesen war, und solche, die aus so fernen Ländern bis nach Florenz gelangt waren, dass sich niemand wirklich vorzustellen vermochte, wie man dort lebte oder wie weit der Weg bis dorthin war.
    „Ist das wirklich dein Wunsch?“, wunderte sich Piero.
    „Oh, ja“, nickte Leonardo. „Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als ein paar Tage in den Gewölben des Medici-Palastes eingesperrt zu sein und Zeit genug dafür zu haben, wenigstens einen Teil dieser geheimnisvollen Schriften anzusehen, die noch so viele ungelöste Geheimnisse enthalten!“
    „Dann komm vorbei, wann immer du möchtest, Leonardo. Du wirst immer willkommen sein und dir ansehen können, was du möchtest.“
    „Ich danke Euch, Herr Piero!“
    „Ich danke dir, Leonardo!“
     
    D er Stadtherr und sein Gefolge ritten davon, nachdem Clarissa von Cristians Pferd hinuntergestiegen war.
    Bevor sie aufbrachen, fragte Piero noch einmal nach, ob sie nicht doch mit in die Stadt genommen werden wollten, aber Leonardo verneinte auch diesmal. „Die Banditen sind ja nicht mehr in der Nähe und außerdem sind ihnen ja Eure Männer auf den Fersen.“
    „Nur nicht allzu dicht, wie ich befürchte“, meinte Piero.
    Clarissa und Leonardo sahen den Reitern nach und beobachteten, wie sie hinter der nächsten Biegung der Straße verschwanden. Sie ritten zur Brücke zurück, ander Leonardo ihnen entgegengeeilt war und sie abgepasst hatte.
    „Sag mal, du hättest allerdings etwas an mich denken können, als du das freundliche Angebot, uns zur Stadt zurückzubringen, abgelehnt hast“, maulte Clarissa und fügte dann noch hinzu: „Wohlgemerkt: Für uns beide abgelehnt – nicht nur für dich!“
    Leonardo war sich keiner Schuld bewusst. „Wir wollten doch noch eine Weile hierbleiben und nach Vögeln und Eidechsen Ausschau halten“, erwiderte er etwas irritiert.
    „Du wolltest das!“
    „Und du bist mitgekommen!“
    „Ja, aber trotzdem! Wir waren doch schließlich schon eine ganze Weile hier draußen. Und wenn man dann schon die Gelegenheit hat, dass man auf einem Pferd reiten kann, anstatt sich die Schuhe durchzulaufen, um nach Hause zu kommen, sollte man das doch annehmen. Aber nein, da kommst du daher und schickst die Reiter einfach fort!“
    Doch Leonardo hörte ihr schon gar nicht mehr zu. Clarissa bemerkte den starren Ausdruck im Gesicht des Jungen. Er sah auf einen Punkt hoch über ihnen, mitten im Himmel.
    Ein Falke glitt dort dahin, beinahe ohne sich zu bewegen. „Eigenartig“, murmelte Leonardo vor sich hin. „Er strengt sich gar nicht an und fliegt doch, obwohl er kaum die Flügel rührt!“
    „So ist das nun mal“, meinte Clarissa und seufzte. „Gott hat den Vögeln bestimmt zu fliegen, und darumschweben sie in der Luft, während wir
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