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Leonardos Drachen

Leonardos Drachen

Titel: Leonardos Drachen
Autoren: Alfred Bekker
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drehte sich ein leckerer Braten – und zwar ganz von allein. Melina   – Leonardos Stiefmutter – stand dabei und sah zu, wie sich der Braten drehte, aber sie runzelte dabei die Stirn. Leonardo grinste. Der Bratenwender, der dafür sorgte, dass sich der Spieß immer weiter drehte und das Fleisch über dem Feuer nicht anbrannte, war Leonardos Erfindung.
    Leonardo hatte den Spieß an den Seiten mit Windrädern versehen. Die warme Luft stieg vom Feuer empor in die Höhe und drehte dabei den Spieß.
    „Ich kann es kaum glauben, dass er sich einfach immer weiter dreht!“, meinte Melina an Leonardo gewandt.„Es sieht so aus, als würde eine unsichtbare Hand dafür sorgen, dass der Braten nicht anbrennt.“
    „Es ist nur der Strom der warmen Luft“, meinte Leonardo. „Zerreiß ein Stück Papier in kleine Schnipsel und wirf sie ins Feuer. Sie werden brennen, aber die Wärme trägt sie empor wie Glühwürmchen!“
    „Hast du solche Sachen bei deinem Großvater gemacht?“
    „Er hätte sonst mit seiner schmerzenden Schulter den Braten selber drehen müssen!“
    „Damit eins klar ist, Leonardo: Hier lässt du solche Experimente bitte bleiben!“
    „Ohne Experimente wäre ich nie darauf gekommen, und es gäbe auch nicht diese verbesserte Version des Bratenwenders – mit zwei Flügelrädern!“
    Der Braten kam ins Stocken. Er drehte sich einen Moment lag nicht mehr. Melina gab dem linken Flügelrad einen kleinen Stoß, woraufhin es sich weiter drehte.
    „Perfekt ist das hier auch nicht“, meinte sie.
    „Tja, da ist wohl irgendetwas hängen geblieben“, murmelte Leonardo.
    „Jedenfalls ist es schön, dass ihr wieder zurück seid. Ich habe mich schon gefragt, wo ihr die ganze Zeit über gewesen seid.“
    Melina blickte auf Leonardos Schuhe, die ziemlich dreckig waren. Ihr Blick glitt dann zu Clarissas Füßen, deren Schuhe genauso aussahen. Heller Steinstaub von den felsigen Anhöhen hatte sich auf dem Leder abgesetzt, und an den Schuhspitzen sowie in den Hacken war dunklere Erde zu sehen, wie sie in dem Gebiet amFluss vorkam – zum Beispiel dort, wo sich die unbekannten Banditen in den Hinterhalt gelegt hatten. „Wo in ganz Florenz gibt es so viel Dreck?“, fragte sie.
    „Zum Beispiel am Flussufer des Arno“, meinte Leonardo.
    Melina wollte nicht, dass sie die Stadt verließen, weil das zu gefährlich sei. Aber Leonardo hatte sich in den Monaten, die er nun schon in diesem Haus wohnte, nie daran gehalten. Clarissa schon, aber heute hatte er sie zum ersten – und vielleicht auch letzten – Mal dazu überreden können, mit ihm zu kommen. Bei seinem Großvater war Leonardo ein sehr freies Leben gewöhnt gewesen. Manche im Dorf hatten behauptet, dass der alte Mann gar nicht mehr so richtig mitbekommen hätte, was Leonardo so alles unternahm, und man ihm die Erziehung des Jungen daher eigentlich nicht guten Gewissens hätte überlassen dürfen.
    Aber für Leonardo waren es schöne Jahre gewesen, die er in Vinci verbracht hatte. Doch nun begann er zu ahnen, dass er soviel Freiheit, wie er während dieser Zeit genossen hatte, wohl für lange Zeit nicht mehr ausleben konnte, denn hier in der großen Stadt herrschten einfach andere Gesetze als in einem kleinen Dorf wie Vinci.
    Melina stemmte die Hände in die Hüften. „So, so, am Flussufer wollt ihr gewesen sein. Du lügst mich doch nicht etwa an?“
    „Wir sind dort gewesen“, bestätigte Clarissa. „Ehrenwort, Tante Melina!“
    Dann zwinkerte sie Leonardo zu, ohne dass Melina das in diesem Moment sehen konnte. Weder Leonardonoch Clarissa hatten bei ihren Antworten gelogen. Sie hatten nur nicht alles gesagt – zum Beispiel, dass das Flussufer, an dem sie gewesen waren, weit außerhalb der Stadt lag. Leonardo fand, dass es besser war, dies einstweilen für sich zu behalten. Das ersparte ihm für den Moment einen Streit mit seiner Stiefmutter, mit der er sich ohnehin nicht immer bestens verstand, weil sie ihn zu sehr zu bevormunden versuchte.
    „Soll ich schon mal den Tisch decken?“, fragte jetzt eine andere, helle Stimme.
    Sie gehörte Anna, der Magd, die im Haus diente. Leonardo konnte sich noch immer nicht daran gewöhnen, dass sein Vater inzwischen eine Magd beschäftigte, die dabei half, das Haus in Ordnung zu halten. Das erschien dem Jungen aus Vinci immer noch wie purer Luxus. Für Leonardos Großvater wäre das schier unvorstellbar gewesen. Aber Leonardos Vater verdiente inzwischen so viel, dass er sich das leisten konnte. „Es ist teurer, sich
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