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Leonardos Drachen

Leonardos Drachen

Titel: Leonardos Drachen
Autoren: Alfred Bekker
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ganz ähnlich, wenn es um seinen Großvater ging, der ja auch erst wenige Monate tot war. Er hatte so lange bei ihm gelebt, dass er eigentlich der wichtigste Mensch in seinem Leben gewesen war. Wichtiger noch als sein Vater und seine Mutter. Schließlich hatte Großvater ja auch für ihn gesorgt und sich jeden Tag um ihn gekümmert und ihm gleichzeitig die Freiheit gelassen, die er brauchte.
    „Ich will hoffen, dass ein Großonkel aus Mailand dich aufnimmt. Dort wirst du ein noch weitaus besseres Leben führen können als hier bei uns“, meinte Melina.
    Clarissa schien allerdings nicht sehr begeistert von dem Gedanken zu sein, zukünftig in Mailand bei einem Großonkel zu leben, den sie allenfalls aus Erzählungen kannte. Sie wirkte gedankenverloren und schien Melina gar nicht richtig zuzuhören.
    „Du hast mir noch gar nicht gesagt, was der Flug eines Vogels mit dem Bratenwender zu tun hat“, sagte sie dann plötzlich an Leonardo gerichtet, nachdem sie einige Augenblicke lang zum Feuer gesehen hatte.
    „Ja, richtig“, sagte Leonardo. „Aber eigentlich müsste man das doch auf den ersten Blick sehen.“
    „Also mir ist nichts aufgefallen.“
    „Es geht um die Stellung der Flügel, Clarissa! Sie entscheidet darüber, ob sich das Flügelrad dreht oder ob es stockt. Und genauso ist es bei dem Falken. Wenn er die Stellung seiner Flügel etwas verändert, stürzt er plötzlich in die Tiefe, um seine Beute zu schlagen. Erst scheint er ohne Gewicht in der Luft zu schweben und dann stürzt er hinab wie ein Stein. Und das alles muss an der Stellung der Flügel liegen!“
    „Vielleicht kannst du den Bratenwender dann ja noch so perfektionieren, dass er sich gleichmäßig dreht und nicht plötzlich stehen bleibt.“
    „Ich werde mich darum kümmern“, versprach Leonardo. „Demnächst irgendwann   …“
    „Wenn man nämlich sowieso die ganze Zeit neben dem Braten stehen muss, weil der Bratenwender jedenMoment aufhören kann, sich zu drehen, dann kann man den Spieß auch gleich selber drehen!“

Der Unheimliche
    S päter war Leonardo in seinem Zimmer und zeichnete bei Kerzenlicht – genauso, wie er es früher im Haus seines Großvaters schon getan hatte, wo er sich so manche Nacht damit um die Ohren geschlagen hatte. Nur gab es hier verglaste Fenster. So einen Luxus hatte es im Haus von Leonardos Großvater nicht gegeben und so manches Mal hatte ihm dann ein Windstoß die Kerze ausgeblasen. Vor allem im Herbst war das immer wieder passiert.
    Zumindest das war hier in Florenz viel besser.
    Auf dem Tisch, an dem er arbeitete, lagen mehrere Bögen Papier. Ser Piero hatte als Notar immer genug davon im Haus. Ein Messer lag dort, mit dem Leonardo seine Bleistifte anspitzte – denn nur, wenn sie wirklich ganz spitz waren, konnte er sie für seine sehr feinen Zeichnungen gebrauchen. Das Blatt, an dem er arbeitete, zeigte eine Flugapparatur, mit der ein Mensch sich eines Tages in die Lüfte erheben sollte. Diese Apparatur konnte man sich an breiten Riemen über den Rücken schnallen. Im Wesentlichen bestand sie aus großen Flügeln, die aus hölzernen Gerüsten bestanden, die mit Stoff bespannt waren. So zumindest stellte sich Leonardo das vor. Nicht alle Details waren schon allein durch die Zeichnung zu erkennen, und so waren dieRänder voll mit Beschriftungen. In einer ganz engen Schrift hatte er dort Anmerkungen gemacht oder ging mit Notizen auf Einzelheiten der Konstruktion ein.
    Ein Blatt, so dachte Leonardo manchmal, konnte eigentlich gar nicht groß genug sein. Immer war darauf zu wenig Platz, um darzustellen, was er sich alles so in seinem Kopf vorstellte.
    Stundenlang konnte er an seinen Zeichnungen sitzen und manchmal hatte er dabei das Gefühl, dass die Maschinen, die er da abbildete, jeden Moment anfingen, sich zu bewegen. Aber das taten sie leider nicht. Die Apparate wirklich zu bauen war viel schwieriger, als sie sich nur auszudenken. Und außerdem brauchte man ein paar sehr mutige Menschen, die es schließlich wagen würden, sie auch zu benutzen.
    Es klopfte an der Tür.
    Leonardo hörte es zunächst gar nicht, zu sehr war er in seine Arbeit an den Zeichnungen vertieft.
    Es klopfte ein zweites Mal, und als er auch jetzt nicht reagierte, öffnete sich knarrend die Tür.
    Clarissa trat ein. Sie trug schon ihr Nachthemd und lief barfuß. Aber offenbar konnte sie nicht schlafen.
    „Dein Vater ist noch nicht aus dem Palast zurück“, sagte sie und sah sich nach einer Sitzgelegenheit um. Auf Leonardos Bett
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