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Leo Berlin

Leo Berlin

Titel: Leo Berlin
Autoren: Susanne Goga
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Malereien, die sich bei näherem Hinschauen als reichlich
     pornographisch entpuppten. Im Kleiderschrank hingen kaum Herrenanzüge
     oder Sakkos, dafür zahlreiche wallende Gewänder und Kimonos in
     leuchtenden Farben, die mit üppigen Stickereien verziert waren. Nur
     die Küche war schlicht und zweckmäßig eingerichtet.
    Es klingelte an der Tür,
     und kurz darauf führte der Polizist einen Mann mit Stahlbrille
     herein, der einen schwarzen Lederkoffer in der Hand trug. »Dr.
     Lehnbach vom kriminalärztlichen Bereitschaftsdienst«, stellte
     er sich vor. »Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen.«
    Er untersuchte die Leiche,
     ohne ihre Lage zu verändern, und fragte dann in knappem Ton: »Wer
     kann das Diktat aufnehmen?«
    Kriminalassistent Berns zückte
     Notizblock und Bleistift.
    »Ich treffe abends um
     zehn vor zehn am Tatort ein. Der Tote, männlich, ungefähr
     vierzig Jahre, liegt auf dem Rücken. Todesursache vermutlich Schädel-Hirn-Trauma
     infolge eines Schlages mit einem schweren Gegenstand. Der Schädel
     weist rechtsseitig eine Platzwunde auf, die Blutung ist beträchtlich.
     Der Tod ist schätzungsweise vor vier bis fünf Stunden
     eingetreten.«
    »Könnte das hier
     die Mordwaffe sein?«, fragte Leo und hielt dem Arzt die geöffnete
     Tüte hin.
    Dr. Lehnbach schaute sich den
     Buddha an und wog die Tüte in der Hand. »Sieht ganz danach aus.
     Alles Weitere erfahren Sie nach der gerichtsmedizinischen Untersuchung.
     Sie hören in zwei bis drei Tagen von mir. Guten Abend, die Herren.«
    Dann hatte er die Arme vor
     der Brust verschränkt und von oben herab gesagt: »Glauben Sie
     etwa, ich rede mit anderen über meine Patienten? Glauben Sie, ich könnte
     kein Geheimnis wahren? Ich bin zwar kein Arzt, aber ich habe meinen
     eigenen Ehrenkodex, und der verbietet mir, über meine Arbeit zu
     sprechen.« Er hatte auf die Uhr gesehen, als wollte er ihn zum Gehen
     drängen.
    »Natürlich,
     Herr Sartorius, aber irgendjemand muss doch davon wissen. Sonst hätte
     ich nicht den Brief –«
    Der Heiler hob die Hand.
     »Haben Sie sich schon einmal überlegt, dass Sie vielleicht gar
     nicht mehr wissen, mit wem Sie worüber reden? Dass Sie anfangen,
     Dinge zu vergessen? Dass Ihnen Ihre Welt allmählich entgleitet?«
    »Nein«, hatte
     er gestammelt, war sich plötzlich vorgekommen wie ein Junge, der
     seinem strengen Vater gegenübersteht, eine Situation, die er nur zu
     gut kannte.
    »Sie kommen her und
     machen mir dreiste Vorwürfe. Was gehen mich Ihre Frauengeschichten
     an? Woher wollen Sie wissen, dass es nicht jemand aus Ihrer Vergangenheit
     war, der sein Wissen zu Geld machen will? Die Zeiten sind schlecht, da
     kann man jede Mark gebrauchen.«
    Doch als ihn Sartorius’
     Blick wie ein Seziermesser traf, wusste er, von wem der Brief stammte.
    Der Heiler wandte sich ab,
     beugte sich ungerührt über seinen Terminkalender. »Wenn
     Sie nun bitte –«
    Der Griff nach dem Buddha
     war nicht überlegt, eher ein Automatismus, wie von fremder Hand geführt.
     Er erinnerte sich, wie er Sartorius bei seinem ersten Besuch danach
     gefragt hatte. »Ja, ein wirklich außergewöhnliches Stück.
     Ich habe ihn aus China mitgebracht, wo ich die asiatische Heilkunst
     studiert habe.«
    Die Figur wog schwer in
     seiner Hand, und doch war es so leicht, Sartorius bot sich ihm förmlich
     dar, und er hob den Buddha hoch und schwang ihn, schwang ihn . . .
    Irgendwann schaute Leo auf
     die Uhr. Mittlerweile war es halb elf, und er wurde allmählich müde.
     Daher war er froh, als die Leiche abtransportiert war und sie endlich
     Schluss machen konnten. Sie packten ihre Utensilien ein, versiegelten die
     Wohnung und verließen das Haus. Draußen vor dem Gartentor
     blieb Leo stehen. »Heute ist noch Ruhe. Falls er wirklich Patienten
     aus der feinen Gesellschaft behandelt hat, wird uns die Presse belagern,
     sobald sie davon Wind bekommt. Ich wüsste gern mehr über diesen
     Heiler und seine Methoden. Morgen nehmen wir uns seinen Terminkalender und
     das Patientenbuch, oder wie immer er es genannt hat, vor. Ich glaube, das
     wird eine interessante Lektüre.«
    »Steig ein, ich setz
     dich zu Hause ab«, meinte Walther.
    Doch Leo schüttelte den
     Kopf. »Ich gehe lieber zu Fuß.«
    »Ich dachte, du bist müde.
     Der Weg ist ganz schön weit.« Aber Leo winkte ab und ging
     davon.
    Manchmal wusste er selbst
     nicht, ob es gut war, immer seinen Impulsen zu gehorchen, aber es war eben
     seine
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