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Leo Berlin

Leo Berlin

Titel: Leo Berlin
Autoren: Susanne Goga
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geahnt, dass ihre Tochter in dieser Farbe einmal ganz
     bezaubernd aussehen würde. Und auch ihre Augen erinnerten an zwei
     frisch erblühte Veilchen, Tränen wie Tau an ihren Wimpern . . .
    Er lachte leise. Was die
     Liebe aus den Menschen machte – Heilige, Verrückte oder sogar
     Dichter.
    Natürlich würden
     sie die Verlobung bald bekannt geben, auch im großen Rahmen, wenn
     ihr daran lag. Und eine prächtige Hochzeitsfeier sollte sie haben,
     mit Orangenblüten und weißem Tüll, wenn sie es altmodisch
     mochte. Er würde Frack und Zylinder tragen, wie es sich für
     einen Mann seiner Stellung gehörte. Und die Flitterwochen würden
     sie an einem romantischen Ort wie Venedig verbringen.

 
    3
    Das Büro mit der hohen
     Decke wirkte nüchtern und gleichzeitig sakral. Einige bunte
     Kunstdrucke milderten die Eintönigkeit der weißen Wände,
     obwohl manche Kollegen die »modernen« Bilder eher misstrauisch
     betrachteten. Die Einrichtung war – wie in den meisten Dienstzimmern
     – schlicht und zweckmäßig. Nur der Kollege Ernst Gennat
     hatte in seinem Büro ein gemütliches Sofa stehen, auf dem er
     seine Fälle zu erörtern und dabei Kuchen zu essen pflegte.
    »Gut, fangen wir an«,
     sagte Leo zu Robert Walther und breitete die Unterlagen, die sie in der
     Wohnung des Ermordeten sichergestellt hatten, auf dem Schreibtisch aus.
     »Ich gehe den Terminkalender durch, du schaust dir die anderen
     Sachen an.«
    Das Buch, in dem Gabriel
     Sartorius seine Patiententermine verzeichnet hatte, war in teures
     weinrotes Leder gebunden und passte zu der Eleganz der Wohnung. Leo blätterte
     bis zu der Seite mit dem Datum des Vortages. Sartorius hatte insgesamt fünf
     Besucher gehabt, die letzte Patientin, eine gewisse Ellen Cramer, war für
     vier Uhr eingetragen. Wie lange mochte eine Behandlung bei dem Heiler
     dauern? Er schaute in Frau Molls Vernehmungsprotokoll. Sie hatte die
     Wohnung pünktlich um sieben Uhr betreten. Er betrachtete die
     Behandlungstermine, die im Durchschnitt anderthalb Stunden auseinander
     lagen. Angenommen, Frau Cramer war um vier Uhr erschienen und um fünf
     Uhr wieder gegangen. Der Tod war laut Aussage des Arztes zwischen fünf
     und sechs eingetreten, so dass dem Mörder im Höchstfall eine
     Stunde für sein Vorhaben geblieben war. Eine Stunde, in der außer
     dem Opfer wohl niemand im Haus gewesen war.
    Schweigend blätterten
     sie die Unterlagen durch, bis Leo durch die Zähne pfiff. »Das
     musst du dir anhören, Robert.« Er las eine Reihe Namen vor.
     »Roger Walden, Sita Selenko, Harry Asmus, Elisa Reichwein, Sascha
     Roloff –«
    Sein Kollege trank einen
     Schluck Kaffee und sah ihn verblüfft an. »Lauter Filmleute und
     Künstler.«
    »Und das sind nur die
     Namen, die ich kenne«, meinte Leo, der sich selten mit den
     Klatschspalten der Boulevardpresse befasste. »Und hier, Mathilde
     Westheim, ob das die Frau des Delikatessenkönigs ist? Sartorius
     scheint überaus illustre Patienten gehabt zu haben, kein Wunder, dass
     er sich diese Wohnung leisten konnte.« Er stützte den Kopf in
     die Hand und schaute versonnen zur Decke. »Wenn von Malchow wüsste,
     welch interessanten Fall er gerade verpasst.«
    »Wieso? Ich dachte, der
     kommt heute wieder.«
    »Schon, aber ich habe
     darum gebeten, ihn Kommissar von Fritzsche beizuordnen, wie es so schön
     heißt. Ich kann nicht mit ihm zusammenarbeiten. Die sollten ein
     Sonderdezernat Orden und Ehrenabzeichen für ihn einrichten.«
    Walther grinste. Er kannte
     Leos tiefsitzende Abneigung gegen Offiziere, die aus dem verlorenen Krieg
     heimgekehrt waren und noch immer taten, als höre die ganze Welt auf
     ihr Kommando. Er kannte keinen Mann, der weniger militärisch
     eingestellt war als Leo Wechsler, was nichts über dessen persönlichen
     Mut aussagte, doch das Obrigkeitsdenken der preußischen Armee war
     ihm völlig fremd. Daher hatte er während des Krieges seinen
     Dienst bei der Kripo versehen und nicht einmal den Versuch unternommen,
     sich freiwillig zu melden, was ihm so manchen verächtlichen Blick
     eingetragen hatte. Vor 1914 hatte man das Präsidium gern als
     Adelsklub bezeichnet, weil viele Beamte nach einer Offizierslaufbahn in
     den Polizeidienst eingetreten waren. Heutzutage war das anders, aber man
     traf, vor allem in den oberen Rängen, noch immer viele »von«
     und »zu« an.
    Leo Wechsler dagegen stammte
     aus kleinen Verhältnissen. Sein Vater war Gemüsehändler
     gewesen und hatte nur
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