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Leo Berlin

Leo Berlin

Titel: Leo Berlin
Autoren: Susanne Goga
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    Prolog
    »Na los, Kleiner,
     nicht so schüchtern.« Nie würde er die Worte vergessen.
     Den Geruch in dem heißen Raum mit seiner üppiggeschmacklosen
     Dekoration, den blutroten Samtportieren und dem goldenen Spiegel. Das
     schwere Parfüm, das sinnlich wirken sollte, aber nur schwül und
     abstoßend war. Die Rufe spielender Kinder unten auf der Straße,
     die nicht wussten, was hinter den Fenstern des unauffälligen Hauses
     geschah. Die feuchten, sauren Flecken, die sich unter seinen Achseln
     gebildet hatten. Seinen trockenen Mund, in dem die Zunge am Gaumen klebte.
     Und die Frau im geöffneten Negligé, die mit gespreizten Beinen
     auf dem Bett lag und die ganze Szene mit einer Mischung aus Langeweile und
     Belustigung betrachtete.
    »So ein großer
     Kerl und noch Jungfrau«, sagte einer spöttisch. »Herbert,
     schubs ihn mal.«
    »Bitte schön.«
     Der Angesprochene stieß ihn ein Stück näher ans Bett. Er
     senkte den Kopf, als könnte er so seine Scham verbergen, verriet sich
     aber durch seine verkrampfte Haltung, die Hände, die sich in die
     Hosennaht krallten.
    »Wenn ihr nicht bald
     zur Sache kommt, wird’s richtig teuer«, sagte sie mit einer lässigen
     Handbewegung. Ihre Lippen waren blutrot, das Rouge ließ ihre blasse
     Haut wie Porzellan aufschimmern. Eigentlich war sie nicht hässlich,
     hatte er flüchtig gedacht und sich gewundert, dass er zu einer so nüchternen
     Überlegung fähig war.
    Doch dann stieß ihn
     jemand von hinten, zerrte an seinem Jackett, riss ihm den Hosenschlitz
     auf, dass ihm die heiße Röte ins Gesicht schoss, und er hörte
     sie »Herbert, Herbert!« rufen, und er ließ alles mit
     sich geschehen, hörte ihr Johlen, als sie ihn aufs Bett stießen,
     auf die Frau.
    Herbert zerrte, angefeuert
     von den Kameraden, an seinen Schuhen, dann an seiner Hose, und die Frau
     bewegte sich unter ihm und sagte, als sie seine Erektion sah: »Immer
     sachte, du kommst ja dran«, was eigentlich am schlimmsten war. Sie würde
     glauben, dass er es insgeheim wollte, dass ihm nur der Mut fehlte, und
     tief im Inneren spürte er, dass sie Recht hatte. In diesem
     Augenblick, der sein Leben für immer in zwei Hälften spalten würde,
     wollte er sie. »Na los, enttäusch sie nicht!«, schrie
     Herbert heiser. Und als die Tür hinter seinem letzten grölenden
     Kameraden zugeschlagen war, riss er mit beiden Händen ihr Negligé
     herunter.
    Als der Rausch vorbei war,
     lag er neben der Frau, auf angenehme, nie gekannte Weise erschöpft.
     Seine Begierde hatte über die Scham gesiegt. Doch als er sich zu ihr
     drehte und ihr Gesicht aus der Nähe sah, die Falten um Augen und
     Mund, nur unzureichend von der Schminke verdeckt, und die wässrig
     blauen Augen, deren Augäpfel rot geädert waren, kehrte sein
     Abscheu zurück.
    Seine sogenannten Freunde,
     auf die sein Vater größten Wert legte, hatten ihn in dieses
     Haus gebracht. Freunde aus guter Familie, die ein zügelloses Leben führten,
     gegen alle Regeln verstießen, ihre Untaten aber geschickt verbargen.
     Sie hatten sich über ihn lustig gemacht, und er argwöhnte
     insgeheim, dass sein Vater hinter dieser erzwungenen Entjungferung
     steckte. Seine Mutter hätte nie geduldet, dass er sich mit einer
     solchen Frau abgab, sie berührte, sie –
    Aber sein Vater fand ihn
     zu weich, das hatte er oft gesagt. Zu weich, um die Firma zu übernehmen,
     zu weich, um in der anspruchsvollen Berliner Gesellschaft etwas zu gelten.
     Zu weich, um zum Militär zu gehen, dabei litt er doch an Asthma. Das
     hatte seine Mutter ihm erzählt. Dass er als Junge im Bett nach Atem
     gerungen, dass sie sich um ihn gesorgt hatte. Zwar hatte er nie etwas
     davon gemerkt, doch bei der Musterung befand man ihn für untauglich.
     Seine Mutter hatte eben Beziehungen gehabt.
    Er war froh gewesen, als
     er das Bordell verlassen und zu Hause ein gründliches Bad genommen,
     die Frau von sich abgewaschen hatte. Und allmählich gelang es ihm,
     die Erinnerung an sie fortzuschieben.

 
    1
    »Herr Kommissar, wollen
     Sie nicht allmählich nach Hause gehen?«, fragte Ursula Meinelt,
     die Stenotypistin, und legte Leo Wechsler einige Blätter auf den
     Schreibtisch. »Ihre Kinder warten sicher schon.«
    Leo blickte kurz von seinen
     Akten hoch, ein wenig misstrauisch, als wollte er prüfen, ob Fräulein
     Meinelt nicht einfach Lust auf Feierabend hatte.
    »Schauen Sie mich nicht
     an wie ein Polizist«, sagte sie forsch.
    »Ich bin Polizist«,
     entgegnete
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