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Leo Berlin

Leo Berlin

Titel: Leo Berlin
Autoren: Susanne Goga
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Art.
    Walther war einer der wenigen
     Kollegen, die Leos gelegentliche Sprunghaftigkeit akzeptierten und als das
     erkannten, was sie war: ein starkes kriminalistisches Gespür, das
     nicht selten zum Ziel führte.
    Dieser Mord war nicht aus
     Habgier geschehen, das ahnte er. Und die Waffe war auf jeden Fall einer
     der Schlüssel.
    Entweder hatte der Täter
     im Affekt gehandelt und nach dem erstbesten Gegenstand gegriffen, der sich
     bot, oder er hatte die Wohnung gekannt und die Tat geplant. Vermutlich
     hatte Sartorius den Mörder gekannt, da die Tür unversehrt war,
     oder ihm zumindest so weit vertraut, dass er ihn in sein Wohnzimmer
     gelassen hatte. Er würde Frau Moll morgen fragen, ob sie ihren
     Arbeitgeber als eher vorsichtig oder vertrauensselig empfunden hatte.
    Leo näherte sich in
     Gedanken versunken der breiten, von Geschäften gesäumten
     Turmstraße, die wie eine Lebensader mitten durch Moabit führte,
     als plötzlich ein frischer Wind aufkam, der die Gedanken an den Mord
     vertrieb. Er sah auf die Uhr. Fast halb zwölf.
    Es war, als stieße ihn
     die Emdener Straße ab wie ein Magnet mit gleichem Pol. Etwas in ihm
     wollte nicht nach Hause. Die Kinder schliefen, Ilse war vermutlich auch
     nicht aufgeblieben.    
    Er seufzte. Seine Frau hatte
     oft auf ihn gewartet, wenn er spätabends zu einem Fall gerufen wurde,
     weil sie spürte, dass er mit ihr darüber sprechen wollte. Vor
     allem, wenn es um die abscheulichsten Verbrechen ging, die Morde an
     Kindern. Die wenigen Fälle, die er bearbeitet hatte, waren ihm lange
     nachgegangen.
    Er dachte flüchtig an
     Marlen, ihr dunkles Lachen, die verständnisvollen Augen. Nein, nicht
     heute. Leo spürte, wie etwas Dunkles an ihm zerrte, eine vertraute
     Finsternis, die ihn ansprang, wenn er am wenigsten damit rechnete.
     Manchmal konnte Marlen sie vertreiben, aber heute . . . Er zog die
     Schultern hoch und machte einen zögernden Schritt. Er würde wohl
     doch nach Hause gehen.
    Kurz vor der Haustür hörte
     er Schreie aus einem Innenhof und blieb einen Moment in dem dunklen
     Torborgen stehen. Schuster Matussek schlägt mal wieder seine Frau,
     dachte er beinahe gleichgültig. Das ging schon lange so. Die Nachbarn
     beschwerten sich, hatten ihn sogar darauf aufmerksam gemacht, weil er doch
     ein »Kriminaler« war, aber der Frau war offenkundig nicht zu
     helfen. Einmal war sie mit aufgeplatzter Augenbraue in den benachbarten
     Kolonialwarenladen gestürzt und hatte um Hilfe geschrien, worauf man
     ihren Mann verhaftete. Am nächsten Tag holte sie ihn auf der Wache ab
     und erklärte, sie habe sich an einer Schranktür gestoßen.
     Das Spiel wiederholte sich alle paar Monate.   
    Ihn störte nur, dass
     seine Tochter mit Inge Matussek spielte. Bei der Arbeit ging er täglich
     mit Gewalt um und konnte daher umso weniger hinnehmen, dass seine Kinder
     damit in Berührung kamen. Es fiel ihm schwer, ihnen solche Dinge zu
     erklären oder einen Rat zu geben. Einmal hatte Marie ihn gefragt,
     warum Inges Mutter ein blaues Auge habe, und er war ihr mit einer Notlüge
     ausgewichen. Und ob seine Ratschläge Georg in der Schule helfen
     konnten, bezweifelte er.
    Er stieß die Hände
     in die Taschen und schaute nach oben zum schweigenden Himmel. Einen Mord
     aufzuklären erschien ihm leichter, als Kinder zu erziehen, denn
     obwohl bei seinen Fällen oft Fragen offen blieben, gab es letztlich
     nur eine Lösung. Bei Kindern hingegen schien es tausend Antworten zu
     geben, und meist wusste man nicht, welche richtig war.
    Dann und wann ertappte er
     sich dabei, wie er seine Frau verfluchte, sie und die tückische
     Krankheit, die ihre Lunge binnen Tagen in einen blutigen Schwamm
     verwandelt und sie in ihrem eigenen Atem hatte ertrinken lassen. Er hatte
     den Kindern nicht von den letzten Stunden erzählt. Wie sie nach Luft
     gerungen, um sich geschlagen, nach ihrer Mutter gerufen hatte. Von dem
     Gurgeln, das jeden qualvollen Atemzug begleitete. Von seinem fassungslosen
     Entsetzen, dass diese Seuche den harmlosen Namen Grippe tragen sollte.
    Als das Ende kam, hatte sie
     sich mit übermenschlicher Kraft im Bett aufgesetzt, ihn ruhig
     angeschaut und mit fester Stimme gesagt: »Die Kinder.« Mehr
     nicht. Aber er hatte es als Auftrag verstanden. Und er zwang sich, daran
     zu denken, wenn ihn die vertraute Dunkelheit zu überfallen drohte.
    Seit er Viola kannte, war
     alles anders geworden. Viola, das Veilchen. Als hätten ihre Eltern
     bei der Geburt
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