Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leo Berlin

Leo Berlin

Titel: Leo Berlin
Autoren: Susanne Goga
Vom Netzwerk:
linken Tür stehen und fragte seine Kinder leise: »Wie ist
     die Lage?«
    »Leicht bewölkt,
     aber trocken«, meinte Georg grinsend im geheimen Kode, der die
     jeweilige Stimmung seiner Tante bezeichnete.
    Sein Vater grinste zurück
     und schloss die Wohnungstür auf. Aus der Küche drang der Geruch
     von frischen Pellkartoffeln, und er spürte plötzlich seinen
     Magen. Bei der Arbeit vergaß er gelegentlich das Essen.
    »Bist du das, Leo?«,
     rief seine Schwester aus der Küche. »Hast du die Kinder
     mitgebracht? Wer weiß, wo die sich wieder rumtreiben.«
    »Keine Sorge, Ilse.«
     Er ging in die Küche und legte seiner Schwester die Hand auf die
     Schulter. Sie war kleiner als er, hatte aber seine dunklen Haare und die
     gleichen blaugrünen Augen. Obwohl sie nur zwei Jahre älter war,
     wirkte ihr Gesicht matt, resigniert und vorzeitig gealtert. Er spürte
     die Spannung, die sich nie ganz gelegt hatte, seit Ilse vor über drei
     Jahren zu ihnen gezogen war. Nach Dorotheas Tod hatte sie ihm angeboten,
     sich um die Kinder zu kümmern, doch insgeheim vermutete er, dass es
     eher aus Pflichtgefühl geschehen war und Ilse nun fürchtete, das
     Leben laufe an ihr vorbei.
    »Die Erdbeeren sehen
     wunderbar aus«, sagte er und biss in eine leuchtend rote Frucht.
     »Schmecken nach Sommer.«
    Sie lächelte verhalten.
     »Das war ein Glücksfall. Ein Bauer hielt mit seinem Karren
     genau vor der Tür, da konnte ich nicht nein sagen. Die Kinder haben
     so gebettelt.«
    »Danke.« Er
     strich ihr leicht über den nackten Oberarm, eine scheue Geste, mit
     der er seinen Dank besser als mit Worten ausdrücken konnte. »Georg
     war wieder mit Pollacks Söhnen zusammen. Haben Kippen gesammelt.
     Vielleicht sollte ich ihm ein bisschen Taschengeld geben.«
    Ilse streute etwas Zucker
     über die klein geschnittenen Erdbeeren und rührte vorsichtig um,
     damit sie Saft zogen. »Ach, übertreib’s mal nicht, Leo.
     Wer weiß, wer es ihm wegnimmt.«
    »Du bist misstrauischer
     als die Polizei«, meinte Leo ironisch. »Siehst in allen Leuten
     nur das Schlechte.«
    Ilse lachte, aber das Lachen
     erreichte ihre Augen nicht. »Wenn du öfter hier wärst, wüsstest
     du, was in den Hinterhöfen passiert. Georg hat erzählt, dass sie
     einem Mitschüler auf dem Heimweg die gute Jacke gestohlen haben.«    
    »Wer schickt denn in
     solchen Zeiten sein Kind mit einer guten Jacke in die Schule? Und davon
     abgesehen – was glaubst du, mit wem ich es tagsüber zu tun
     habe? Mit der Heilsarmee?«
    Manchmal kam ihm das Leben
     mit ihr vor wie eine alte, abgenutzte Ehe. Sie kannten sich, kamen
     halbwegs miteinander aus, doch es gab keine echte Zuneigung. Ob er überhaupt
     noch dazu fähig war?
    Seufzend setzte er sich an
     den Tisch und goss sich ein Glas Wasser ein.
    »Ansonsten alles in
     Ordnung? Hat Georg seine Hausaufgaben gemacht?«
    »Ja, alles bestens.«
     Ilse zögerte und sah ihn unschlüssig an.
    »Was ist denn?«
    »Na ja, ich weiß
     nicht, ob es wichtig ist, aber . . . Er hat gesagt, dass ein Junge aus
     seiner Klasse komische Sachen erzählt.«
    »Was für komische
     Sachen?«
    »Dass lauter Verbrecher
     an der Regierung sind. Und dass vor dem Krieg, als wir noch den Kaiser
     hatten, alles besser war.«   
    »Ach, Ilse, das ist
     doch das übliche Gewäsch, das kann er in jeder Zeitung lesen.
     Warum soll ich mir darüber Sorgen machen?«
    »Er hat auch erzählt,
     dass dieser Junge einen Klassenkameraden verprügelt hat, weil er
     nicht vor ihm salutieren wollte.«
    Leo schaute hoch. »Wie
     bitte?«
    »Der Junge hat wohl
     behauptet, der Vater des anderen sei ein Roter, der Deutschland verraten
     habe.«
    Leo seufzte. »Wir sind
     hier in Moabit, da gibt es Rote wie Sand am Meer.«
    »Schon, aber der Schläger
     war der Sohn vom Lehrer.«
    »Was? Hat Scheller
     schon wieder mit seinen Sprüchen angefangen?« Obwohl
     kriegsverherrlichende Propaganda an den Schulen gesetzlich verboten worden
     war, gab es noch viele treue Staatsdiener, die den Jungen Flausen in den
     Kopf setzten und vom Tod fürs Vaterland schwärmten. Ludwig
     Scheller war ein Hetzer der übelsten Sorte, und Leo war mehr als
     einmal mit ihm aneinander geraten. Zurzeit herrschte zwischen ihm und dem
     Lehrer eine Art Waffenstillstand. »Wenn es so weitergeht, muss ich
     wohl noch mal mit ihm reden.« Er trank einen Schluck Wasser. »Hast
     du gehört? Man wollte Scheidemann mit Blausäure töten. Weißt
     du noch, wie er damals am Fenster
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher