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Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin
Autoren: Gunna Wendt
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auffliegen musste – über kurz oder lang –, es war nur eine Frage der Zeit. Aber vielleicht war es ja gerade das, was sie wollte: Zeit gewinnen! Nachdem die Fälschungen entdeckt worden waren, setzte sich die Maschinerie der Anklage und moralischen Verurteilung unaufhaltsam in Gang. In den Zeitungsartikeln sprach man jetzt wieder von der »berühmten« bayerischen Schriftstellerin, als die man sie schon lange nicht mehr bezeichnet hatte. Die Fallhöhe wurde dadurch größer, die Straftat spektakulärer, die Meldung reißerischer.
    In Lena Christs Nachlass im Münchner Literaturarchiv Monacensia befindet sich ein Text mit dem Titel Trauerspiel des Alltags , der die Tragödie einer Frau erzählt. Der Schluss lautet: »So trat sie denn an das Geländer, und nach wenigen Augenblicken sahen die Leute, die rasch zusammenliefen, drunten im Wasser etwas Dunkles auftauchen und dahintreiben, fast wie ein Stück Holz, das alsbald wieder in dem Strudel versank. Am nächsten Tag brachten die Morgenblätter über diesen Vorfall ein paar Zeilen, die einer flüchtig überliest, weil es nicht wichtig ist, was da geschah.« Dieses Schicksal teilte die Autorin nicht. »Ihre Verfehlungen wie ihr Freitod gingen damals durch sämtliche Blätter«, berichtet Peter Jerusalem, für ein paar Stunden sei »der Fall Lena Christ« in München Stadtgespräch gewesen.
    Sie hatte es geschafft, ihr Tod wurde in den Medien wichtig genommen. Damit hatte sie eines ihrer zentralen Ziele erreicht und im Kampf gegen die Gleichgültigkeit einen Sieg errungen. Es war ein lebenslanger Kampf, den sie führte. Ihre Waffe war das Schreiben. Sie erzählte die Dinge so, dass man sie nicht flüchtig überlesen konnte, sondern mit Herzklopfen in sich aufnahm und miterlebte. Manche Menschen warfen ihr daher vor, sie übertreibe, nehme es mit der Wahrheit nicht so genau. Ein Vorwurf, der auch gegen ihre Zeitgenossin Lou Andreas-Salomé erhoben wurde. Diese war noch ein Kind, als sie von ihrer Begleiterin nach der Schilderung eines gemeinsamen Erlebnisses »phantastischer Beigaben zu den Wirklichkeitsvorgängen« beschuldigt wurde: »Aber du lügst ja!« Auch Lena Christ wusste, dass sie ihre Erlebnisse so spannend gestalten musste, dass sie den Leser nicht unberührt ließen. In ihrer Suche nach Glück war Gleichgültigkeit der gefährlichste Gegner. Sie hatte früh erkannt, dass sie das Gegenteil von Glück war und zerstörerisch wirkte. »Das Schlimmste ist die Gleichgültigkeit«, heißt es in Stéphane Hessels Schrift Empört euch ! Und im Gespräch mit Alexander Kluge bezeichnet der Komponist Helmut Lachenmann Gleichgültigkeit sogar als eine Form von Gewalt.
    Lena Christs Aufbegehren dagegen beginnt mit ihrem ersten Buch, den Erinnerungen einer Überflüssigen . Ihre eigene Überflüssigkeit hat sie schonungslos benannt und konnte sie dadurch einer Verwandlung unterziehen. Das Stigma wurde zur Chance: Wer zu nichts nutze ist, der ist auch zu nichts verpflichtet. Damit entsteht ein Freiraum. Lena Christ hat ihn genutzt, um das Glück zu suchen: »Glei frisch drauf los und mitten eine ins Glück!«, heißt es in ihrem Roman Die Rumplhanni . Im Schreiben hat sie es gefunden. Es wurde zur Fluchtlinie, die es ihr ermöglichte, das Leben nicht passiv zu erdulden, sondern aktiv zu gestalten. Aus Ohnmacht war Macht geworden, die Macht einer Schöpferin. »Der große, der einzige Irrtum ist der, zu glauben, eine Fluchtlinie bedeute, dem Leben zu entfliehen, sei eine Flucht ins Reich der Einbildung oder der Kunst. Stattdessen heißt fliehen, Reales erschaffen, eine Waffe finden«, erklärt Gilles Deleuze. Als solche ist Lena Christs Literatur zu verstehen. Damit hat sie sich und ihr Leben verteidigt, selbstständig und souverän, unterstützt von einem Begleiter. Eine Geschichtenerzählerin braucht ein Gegenüber, das neugierig ist. Diese Rolle hat Peter Jerusalem lange Zeit erfüllt. Er sollte wissen, wer sie war, ihm offenbarte sie ihr Selbst oder das, was sie dafür hielt. Das fünfjährige Kind, mit dessen Erlebnissen sie ihre Erinnerungen einer Überflüssigen begann, erschien »leibhaftig« vor ihm, genau wie die anderen Figuren ihres Romans, sie »wurden sichtbar mit einer so unheimlichen Deutlichkeit, dass man sie greifen konnte«, staunte Jerusalem. Eine dieser Figuren war die Schriftstellerin Lena Christ. Sie hat sie selbst geschaffen, das Leben denselben Gesetzmäßigkeiten unterworfen wie die Literatur. Daher war es nur folgerichtig, dass sie ihre
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