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Leidenschaft, Die Dich Verfuehrt

Leidenschaft, Die Dich Verfuehrt

Titel: Leidenschaft, Die Dich Verfuehrt
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liegt auf der Hand, daß du mir gegenüber im Vorteil bist. Warum erklärst du mir nicht einfach, wieso ein Mensch frühmorgens mit einem Revolver am Kopf aufwacht und er dabei auch noch in sein eigenes Spiegelbild schaut?«
    Saint-Laurent starrte Shay eine Weile stumm an, warf dann seinen Zigarillo auf den Boden und trat die Glut mit dem Absatz seiner schmutzigen Stiefel aus, an denen er
    Sporen trag. »Haben dir deine Leute nie erzählt, was geschehen ist? Weißt du nicht, wie du zu einem Waisenkind geworden bist?«
    Shay schüttelte den Kopf. Er hatte zwei ältere Schwestern, Dorrie und Cornelia, die fast schon erwachsen gewesen waren, als er in die Familie gekommen war. Sie hatten ihm zwar ständig unter die Nase gerieben, daß er ein Findelkind war, aber sie hatten ihm keine Einzelheiten über seine Herkunft erzählt. Shay hatte auch weder seinen Vater noch seine Mutter - sie waren innerhalb eines Jahres kurz nacheinander gestorben - überreden können, ihm etwas über die Umstände seiner Geburt zu erzählen, und so hatte er die ganze Sache auf sich beruhen lassen.
    Saint-Laurent seufzte leise. »Inzwischen dürfte dir ja klar geworden sein, daß wir Zwillingsbrüder sind«, meinte er. »Wir wurden irgendwo in den Rocky Mountains geboren. Unsere Eltern - sie hießen Patrick und Mattie Killigrew und waren beide noch sehr jung - hatten sich einem Treck nach Westen angeschlossen, der von Indianern überfallen wurde. Unser Vater hatte seine Söhne nicht einmal sehen oder im Arm halten können, denn er starb mit einem Pfeil in der Brust, während unsere Mutter in den Wehen lag. Sie selbst starb noch am gleichen Tag an Schwäche, Kummer und Verzweiflung, nachdem sie unsere Zukunft geregelt hatte. Margaret und John Saint-Laurent waren bereit, mich, Tristan, mit nach Oregon zu nehmen und als ihren Sohn aufzuziehen. Shamus und Rebecca McQuillan waren einverstanden, dich aufzunehmen, und so bist du hierher nach Kalifornien gekommen.«
    Shay war froh, daß er saß, denn die Geschichte, die sein Bruder leidenschaftslos und ohne Schnörkel erzählt hatte, traf ihn wie ein Hammerschlag - und ernüchterte ihn. Er hatte das Gefühl, daß er zum ersten Mal seit achtzehn Monaten wieder klar denken konnte und sein Gehirn nicht von billigem Fusel vernebelt war.
    »Ich selbst habe auch erst vor einem Jahr die Wahrheit erfahren«, fuhr Tristan fort. »Ich hatte gehört, daß meine Mutter krank war, und bin zu ihrer Ranch zurückgekehrt, um sie vor ihrem Tod noch einmal zu sehen. Sie erzählte mir, was sie wusste , und gab mir das Tagebuch, das Mattie Killigrew - unsere Mama - während des Trecks geschrieben hat.«
    »Und dann hast du dich auf den Weg gemacht, tun mich zu suchen?« Shays Stimme klang rau wie ein Reibeisen.
    Wieder lachte Saint-Laurent leise in sich hinein, fischte einen neuen Cheroot-Zigarillo aus der Innentasche seines langen, verstaubten Mantels und beugte sich zur Lampe, um die Zigarre anzuzünden. Er rückte zuerst den Glaszylinder zurecht und sog genüsslich den Rauch ein, bevor er antwortete. »Du warst mir - ehrlich gesagt - völlig egal«, erwiderte er. »Wenn ich hätte wissen wollen, wie du aussiehst, hätte ich ja nur in den Spiegel schauen müssen. Nein, ich wollte mein eigenes Leben weiterführen wie bisher, aber dann nahm das Schicksal eben seinen Lauf.«
    »Was meinst du damit?« fragte Shay, der irritiert und leicht beleidigt war, daß sich sein eigener Bruder so wenig für ihn zu interessieren schien. Shay war es gewohnt, daß die Leute ihn entweder mochten oder hassten - aber nicht, daß er ihnen gleichgültig war.
    Tristan betrachtete seinen Zwillingsbruder, sog an seinem Zigarillo und blies langsam den Rauch wieder aus. Als er sprach, ging er nicht auf die Frage ein. »In der Nähe von Cherokee Bluff gab es vor achtzehn Monaten einen Raubüberfall auf eine Kutsche«, sagte er. »Hast du damals schon den Marshallstern getragen?«
    Shays Kehle wurde trocken, und er wünschte, er hätte einen Schluck zu trinken. Vor eineinhalb Jahren waren der Kutscher, der Wachmann und die drei Passagiere getötet worden, als bei diesem Überfall eine Brücke gesprengt worden war und die Kutsche, die Pferde und die Mens c hen in eine tiefe Schlucht gestürzt waren. Unter den Opfern war auch Miss Grace Warfield gewesen - Shay McQuillans Verlobte.
    »Ja«, murmelte er schließlich, »ich war damals schon der Marshall .«
    Tristan schwieg.
    Shay suchte nach Worten und zwang sich, sie auszusprechen. »Als die Kutsche
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