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Leichensache

Leichensache

Titel: Leichensache
Autoren: Norbert Horst
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Tag mehr, mal ölen. Frau Grönegress in grauer Strickjacke und Lederhausschuhen kommt mit Zeitung unterm Arm die Treppe herauf.
    »Morgen, Herr Kirchenberg. Na, ruft die Pflicht schon wieder?« Sie bleibt kurz stehen, grinst.
    »Was soll man machen …«
    »Ach, Rentner werden Sie auch noch früh genug.« Sie wedelt mit dem gerollten Anzeiger. »Ich werde erst mal in Ruhe die Zeitung studieren, mit einer schönen Tasse Kaffee. Sollten Sie auch mal wieder tun.«
    Wie meint die das? Hat die Gierth der was erzählt? Mit Sicherheit. Altweibersolidarität. Im Briefkasten eine Rechnung von den Stadtwerken, etwas von der Versicherung und die Berliner Mauer mit drei gemalten Polizisten, liegen sich in den Armen, die beiden Äußeren mit einer Flasche in der Hand. »Wir machen auch Hausbesuche.«
     
    Hallo, Herr Kommissar,
    habe hier drei nette Kollegen von dir getroffen. Wie gefallen sie dir? Oben steht meine neue Adresse und Telefonnummer. Vielleicht kann ich dir die drei ja mal persönlich vorstellen.
    Liebe Grüße
    Ayse
    PS Solltest du wirklich mal kommen, ruf bitte vorher an.
     
    Ayse im T-Shirt, der Pferdeschwanz fällt von hinten über die Schulter, brechend voller Hörsaal, sie sitzt auf den Stufen, schreibt auf den Knien, Bleistift zwischen den Zähnen, mit den Gedanken woanders.
    Berlin? Gute Idee. Schon zehn vor. Der Nieselregen kühl auf den Lippen. Dieser Wind. Hinter den Scheibenwischern zwei gelbe Platanenblätter. Der Anlasser zieht müde durch, die Kontrollleuchten pulsieren rot. Los, komm schon. Das Dudeln wird langsamer. Ende. Warten. Noch ein Versuch, drei gequälte Umdrehungen, Schluss. Scheiße.
    Die 19er krieg ich noch.
    An der Haltestelle Schüler in Buffalos und Regenjacken. Was heißt denn HH? Die 19 kommt, klingelt aggressiv einen Linksabbieger von den Schienen. Rappelvoll. Im letzten Wagen ist noch Platz, es riecht nach nassen Klamotten. Walkman-Gestampfe aus allen Ecken.
    Kneipenbummel, Ayse als Fremdenführerin. Hier ist die gemütliche Studentenkneipe, Live-Blues auf der Bühne, Einladung an die Gäste zur Jam-Session, mal probieren.
    Ayse ist überrascht, hört gespannt zu, schließt die Augen. Die Patterns laufen gut. Nach Hause gehen. Ich kann auf dem Sofa schlafen, okay. Nach zwanzig Minuten kommt sie rüber …
     
    Zwei Kradfahrer rollen fast lautlos im Standgas aus der Toreinfahrt, beide im Regenkombi. Dass die bei dem Wetter rausfahren.
    Der Fahrstuhl ist gerade weg, die Digitalanzeige im Stahlrahmen zählt von eins aufwärts. Die Sicherheitstür zur Wache schwingt auf, Helmut mit einer Tasche unter jedem Arm. Die Tür scheppert ins Schloss, der Türrahmen vibriert.
    »Morgen, du Packesel.«
    »Morgen.« Er lässt sich eine Tasche abnehmen. »Na, noch keine Nachrichten gehört? Heute Nacht hat ein Altersheim gebrannt vom Johannes-Stift. Drei Mitbewohner werden noch vermisst. Kurt ist schon seit vier Uhr draußen.« Er drückt zum dritten Mal den Fahrstuhlknopf. Zwei Wikris kommen, unterhalten sich über Big Brother.
    »Scheiß Ding«, er drückt noch einmal, atmet zweimal tief. »Na ja, noch zwei Wochen.«
    »Urlaub?«
    Nicken mit krausem Kinn. »Ab ins Wohnmobil, und dann drei Wochen durchatmen.«
    Der Fahrstuhl ist da, es riecht nach herbem Rasierwasser. Helmut sieht auf seine Schuhe, spielt mit den Zehen. Einer der Wikris guckt Ally McBeal jede Woche, wenn er nicht kann, nimmt er es auf. Der Flur ist leer, Helmut schließt sein Büro auf, verschwindet stumm.
    Kirchenberg, KHK. Das zweite K ist kaum noch lesbar, muss ich endlich mal auswechseln. Auf dem Schreibtisch die aufgeschlagene Spurenakte MK Baum. Ach, ja, Spur 192. Diese Ruhe, wunderbar. Von unten dumpfer Verkehrslärm. Auf dem Rollschrank hat Ulla ihre Zigaretten vergessen. Eine, eine schlauchen. Fünf Züge, mehr nicht.
    Graue Wolken jagen vor Grau. Die grünen Planen der Marktwagen schlagen im Wind, kaum Menschen in den Gängen zwischen den Ständen, es zerrt an den Schirmen.
    Schwarz-Weiß-Fernseher auf dem Dreieckstisch, Rolltüren mit drehbarer Spiegelbar dahinter. Das singende klingende Bäumchen, der hässliche Zwerg nimmt die riesige Trichterblume und bläst, der Sturm wirbelt den Styroporschnee durch die Pappbäume. Die Hände wischen den Prilschaum an der bunten Schürze ab. Weißbrot mit Rübenkraut, schwarze Schlieren auf dem Holzbrett, Ofenwärme, Gesang und Geklapper von Geschirr im anderen Raum.
    Stroter kommt vorsichtig herein, wedelt mit Papier.
    »Die letzte Spur«, er wirft sie wie ein Frisbee auf den
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