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Leichensache

Leichensache

Titel: Leichensache
Autoren: Norbert Horst
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Schreibtisch. »Einer von den Squashgästen, ist gestern aus dem Urlaub gekommen. Malediven. Wir waren dieses Jahr in Kelnhusen, an der Ostsee«, im Hinausgehen.
    Dicht über dem Horizont ein blaues Loch für Sekunden.
    Stadtwohnheim, Dreck, Geschrei, in der Wohnung Müll auf allen waagerechten Flächen, der zehnjährige Marc, die Schwestern plärren, sonst niemand da, Geruch von alter Luft in alten Räumen.
    Wieder kurz ein blaues Loch, weg.
    Der Schein der Straßenlaternen fällt von weit auf die Gatterpfähle, die Esel kaum zu erkennen, Marc mit langem Messer, vorsichtig, von hinten, beschwichtigendes Gewäsch, hält sie am Schwanz, leicht gleitet die Klinge in weiches Scheidenfleisch, Geblöke, schnell noch die Ohren, weg.
    Neurotransmitter jagen durch synaptische Spalten, neuronale Netze glimmen, Schmerzzentrum und Geilheitszentrum pulsieren im Gleichtakt. Gelb, das Geilheitszentrum ist bestimmt gelb. Kleine Blitze zucken bis zur Macht. Hormone spritzen, Wasserfälle, Rausch.
    Hand auf der Schulter, zusammenzucken.
    »Erschreckt?«, Heike kichert mit Hand vor dem Mund, »Tschuldigung, ich konnte nicht widerstehen.« Sie streckt die Hand aus. »Ich wollte mich verabschieden, ab Montag bin ich bei KK 23.« Fester Händedruck, leise Wehmut in den Mundwinkeln. »War schön bei euch. Manchmal hart, aber schön. Nette Truppe.«
    »Nicht zu viel Elend?«
    Beim Kopfschütteln schwingt eine blonde Strähne vor ihrem rechten Auge hin und her.
    »Aber man watet bei euch schon tiefer im Sumpf als anderswo. Über einiges werde ich noch eine Zeit nachdenken.«
    »Quäl dich nicht. Ich mache das nun schon einige Jahre, auch einige Jahre nachdenken, aber eigentlich habe ich heute mehr Fragen im Kopf als Antworten. Was sagte mein alter Bärenführer immer, wenn ein Bürger die Maßnahme nicht einsah: Nehmen Sie es mal so hin.«
    »Wie hast du es noch genannt? Extrem normverlassende Synapsenbildung?«
    »Vergiss es! Möchtest du noch kurz …«
    Die Tür fliegt auf, Helmuts ernstes Gesicht, Querfalten auf der Stirn.
    »Leichensache!« Pause, gespanntes Warten. Engel? Helmut nickt.
    »Die JVA hat angerufen. Er hängt in seiner Zelle an der Heizung.« Es zieht in der linken Brust. »Verdammt, verdammt.«
    »Staatsanwalt Nagel habe ich informiert, er ist schon nach dort unterwegs.«
    »Haben wir ein Auto?«
    »Die Papiere vom Vectra liegen bei mir, ich fahr dann mit der Bahn zum Gericht.«
    »Kann ich mit?«, Heike.
    Helmut zieht seine Lippen schmal, seinetwegen. Sie streckt den Daumen nach oben, verschwindet. Helmut kommt wieder, der Schlüssel klimpert zwischen seinen dicken Fingern. Kamera, Klemmbrett, Memocord. Heike wuchtet eilig die Tür auf, mit grünem Rucksack.
    »Die Waffe kannst du hier lassen, müssten wir eh abgeben.«
     
    Die Tanknadel des Vectra kratzt am Reserverot. Das reicht noch. Ein Notarztwagen mit Blaulicht und Martinshorn von links, biegt ein. Heike sagt nichts, der Blick ist leer nach vorn gerichtet. Ruhig allein lassen.
    Engel in der Zelle, Lesen, Liegestütze, aufs Bett, eine Hand hinter den Kopf, dieselben Flecke unter der Decke, wieder Liegestütze, essen, onanieren, ans Fenster, ein Bussard über dem Feld, essen, aufs Bett, die Decke, onanieren, essen …
    Am Panzerglas der Schleuse perlt außen der Regen ab. Drinnen wird ein altes Paar mit grauen Gesichtern abgefertigt, dann ein Vierziger mit Stoppelbart, Hemd mit Krawatte. Wahrscheinlich Rechtsanwalt.
    Der Schließer mit grauen Cary-Grant-Schläfen sucht nur kurzen Blickkontakt. Ja, zu der Leichensache. Der Staatsanwalt ist schon da. Die Dienstausweise. Nein, keine Waffen dabei, ja, wir kennen uns aus. Die Gitterpforte öffnet sich hydraulisch, schüttelt sich schabend. Heike geht mit verschränkten Armen, sieht sich ausgiebig nach rechts und links um. Auf dem Hof gegenüber öffnet sich eine Stahltür, ein junger Schließer wartet, lässt die linke Hand am Schlüssel. Der Staatsanwalt ist schon da, wissen wir schon.
    Neonlicht auf dem Gang, grüner PVC-Boden. Ein Radio plärrt weit weg, was Italienisches, wahrscheinlich WDR II.
    Die Zellentür steht auf, ein Schließer lehnt mit der Schulter an der Wand, Handrücken in die Hüfte gestemmt, grüßt mit den Augen. Staatsanwalt Nagel wühlt auf dem Tisch in Papieren, stummer Gruß.
    Marc mit dem Rücken an der Heizung, die Beine ausgestreckt, das Seil aus dünnen, weißen Baumwollbahnen sitzt eingeklemmt in der Strangulationsfurche unter dem Kinn, der Knoten hängt von hinten über der Schulter. Glatter
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