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Leichensache

Leichensache

Titel: Leichensache
Autoren: Norbert Horst
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Danny-de-Vito-Verschnitt, rote Ledersitze. Dahinter ein grauhaariger Jetta mit Brille. Die Bahn fährt an. Vor dem Cabrio ein Transit mit Bauarbeitern, auf Heimfahrt. Davor zwei Jungen im heiß gemachten Polo. Haben die Mädels heute keinen Ausgang? Es stinkt immer noch nach Pisse. Aussteigen.
    Das Digital-Thermometer an der Apotheke zeigt 21 Grad. Und das im September. Am Himmel nur wenig Blau zwischen graulila Wolken. Gewitter wäre gut, mit viel Regen. Kaum Verkehr heute Abend, komisch. Kommt irgendwas im Fernsehen? Fußball? In den Löchern der Gullydeckel stehen kleine Pfützen von der Gehwegkehrmaschine.
    I wanna know
    Have you ever seen the rain …
    Die Hauswände reflektieren schwach pulsierendes Blaulicht, lebendige Schatten. Woher kommt das denn? Hey …
    Vor der Eingangstür schräg auf dem Bürgersteig steht der Notarztwagen mit laufendem Blaulicht, zwei Streifenwagen daneben. Ein junger Meister funkt auf der Beifahrerseite mit offener Tür im Stehen. Ein Keil hält die Haustür auf, Geklapper hallt durch die Etagen. Zwei Sanitäter quälen sich um das Geländer, heben die Trage an. Der alte Siele mit Kopfverband. Mein Gott! Sie rollen ihn vorbei. Er blinzelt, verzieht mühsam den Mund, kaum zu sehen. Die Sanitäter gehen weiter, er versucht, die Hand zu fassen. Mitgehen.
    »Was ist passiert?« Vor dem Einladen in den Wagen stellen sie ihn ab.
    »Was ist passiert?«
    Er schluckt, müht sich.
    »Sie haben doch letztens etwas von Wohnungsschlüssel und Vertrauen gesagt. Wenn Sie mir vertrauen, würde ich Ihnen gern meinen Schlüssel geben. Wegen der Blumen und auch sonst.«
    Wie meint der das denn?
    »Ja, ja, natürlich, machen Sie sich keine Sorgen, das machen wir schon …« Sie schieben die Trage auf die Stahlplatte, festschnallen, Türen zu, Abfahrt. Mit Musik.
    Im Treppenhaus zieht es. Siele, handschriftliches Schild mit Druckbuchstaben. Im Flur beiger Teppichboden mit Karos, vor der Wohnzimmertür vier Blutstropfen in zwei Karos. Hartmut, der DGL, mit Funkgerät vor der Couch, zeigt, spricht mit der Kollegin. Dunkle Haare, ganz schöne Kiste. Er blickt auf, zwei senkrechte Falten zwischen den Augenbrauen.
    »Was machst du denn hier?« Der Blick der Kollegin pendelt hin und her.
    »Ich wohne hier im Haus, sogar direkt in der Wohnung hier drunter. Was ist passiert?«
    »Was ist passiert! Kennst du ihn?«
    »Ja. Ich meine, was heißt kennen. Wir grüßen uns im Treppenhaus, haben schon mal ein Glas Wein zusammen getrunken. Aber kennen.«
    Er blättert einen Stapel Papiere durch, legt sie zurück auf den Sekretär.
    »Was ist passiert?«
    Die Kollegin legt die Hände hinter dem Rücken zusammen, geht gemächlich durch den Raum, wandernder Blick. Hartmut zieht die Schultern hoch, reibt sich das Genick.
    »Genau wissen wir das noch nicht. Sieht so aus, als hätte er sich einen Stricher mit nach Hause genommen, der ihm dann eins auf die Glocke gegeben hat. Das Übliche eben.«
    »Was? Der alte Siele? Der ist Priester gewesen.«
    »Ja und?«, verwundertes Kopfschütteln, »du sagst das ja so, als könnte das nicht sein. Ist Homosexualität nicht Einstellungsvoraussetzung für katholische Pfaffen?« Die Kollegin kichert, ihr Blick haftet an einem Harlekin von Emil Nolde. »Warst du nicht im Bilde?«
    Ne, war ich nicht. Deswegen der Rauswurf aus der Kirche. Das wollte er nicht sagen. Siele in schwarzem Talar mit weißer Stola, Sakristei, Sonnenstrahlen durch bunte Fenster, Staub schwebt. Zwei Ministranten, blonde Locken … ne …
    »Ist der Täter bekannt?«
    »Natürlich nicht. Der Alte hat uns selbst angerufen, als er wieder aufgewacht ist, trotz der Verletzungen. Wir haben aber eine Täterbeschreibung, sogar eine, die ganz brauchbar ist. Von einer Hausbewohnerin.«
    »Frau Gierth!«
    »Frau Gierth?« Er blickt zur Kollegin, die zückt ihr Notizbuch, blättert, nickt stumm.
    »Warum?«
    »Frau Gierth ist so was wie Miss Marple, aber eine ganz Wache. Die Beschreibung ist wahrscheinlich wirklich brauchbar.«
    Er nickt, lacht dann. »Dass du hier wohnst. Zufälle gibt’s.«
    Im Wohnungsflur ein Schlüsselkasten mit drei Schlüsseln. Der mit der gelben Kordel passt zur Wohnungstür.
    »Habt ihr einen Wohnungsschlüssel?« Zustimmung. »Ich nehm den hier mit, wenn ihr nichts dagegen habt. Soll die Blumen gießen.«
    »Ja, ja«, er sieht weiter Papiere durch, »gieß man. Spuren sind eh kaum zu sichern«, ausladende Handbewegung.
    »Ruhigen Dienst noch.« Gruß.
    Frau Gierth steht am Streifenwagen und redet
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