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Leichendieb

Leichendieb

Titel: Leichendieb
Autoren: Patrícia Melo
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Drogenkuriere, die hier am Stadtrand angeheuert werden, Arbeitslose, Leute mit Schulden, die sich darauf einlassen, Drogen wohin auch immer zu schmuggeln. Die ergreifen wir bei den Razzien. Ich meine damit nicht mich. Ich mache dabei nicht mit. Als Verwaltungsangestellte hat man keine spezifischen Aufgaben. Man stopft Löcher, macht das, was die anderen nicht tun wollen, wozu sie keine Lust haben. Das ist meine tägliche Routine. Ich bin ständig bei Vernehmungen und Anhörungen und verwende dabei das, was ich die »Indirektsprache« nenne. Der Obengenannte wisse von nichts. Er habe das Opfer nie gesehen. Habe nie getötet. Habe nie gestohlen. Er sei am Tattag nicht in der Stadt gewesen. Er habe keine Aussage zu machen. Mir hängt das alles zum Hals heraus, sagte Sulamita. Ich werde dort aufhören, ich habe mich schon für die Stelle als Leiterin des Leichenschauhauses beworben.
    Um kurz vor elf klingelte mein Handy. Es war Rita.
    Ich bin traurig, sagte sie, kriege keinen Bissen herunter. Kann ich zu dir kommen?
    Ich hatte den Eindruck, dass sie betrunken war. Falsch verbunden, sagte ich.
    Ist das Bauxit bei dir?
    Kenne niemanden, der so heißt, sagte ich.
    Wetten, dass du an mich denkst.
    Und legte auf.
    Sulamita war in meiner Nähe, ich befürchtete, dass sie mitgehört hatte.
    Verwählt, sagte ich.
    Ich weiß nicht, ob sie es glaubte. Zumindest sagte sie nichts.
    In der Nacht schliefen wir beieinander. Oder vielmehr Sulamita schlief. Ich lag wach da, schaute an die Decke und dachte nach. Dachte an die Leiche, Over.
    Furchtbar, vom Himmel zu stürzen und so zu sterben.
7
    Erbarmungslos ergriff die Sonne von allem Besitz. Die Menschen hetzten, als könnten sie der Hitze entkommen. Mancherorts spürte man den Asphalt schmelzen. So sah das Leben in dieser Stadt aus, blauer Himmel, kochende Straßen und Leute auf der Flucht vor dem Backofen. Hier vermodern die Dinge schneller, behaupteten sie. Mehr Würmer, Over.
    Ich parkte den Wagen an der Ecke und beobachtete die Villa,die den gesamten Block einnahm, mit ihren geometrisch wie Soldaten angeordneten Palmen. Zwölf Soldaten, zählte ich. Ganz hinten das Tor zur Kaserne. Da saßen sie, dachte ich, versammelt und verzweifelt. In Erwartung des toten Kriegers.
    Der uniformierte Wachmann öffnete das eiserne Einfahrtstor, und ein Polizeiauto kam herausgefahren.
    Im Garten verfolgten zwei Hunde, die mehr wie zottige Ziegenböcke aussahen, träge die Arbeit eines jungen Mannes, der mit einem langstieligen Kescher den Swimmingpool sauber machte. Fliegen surrten.
    Was zum Teufel hatte ich dort verloren?
    Nachts wälzte ich mich im Bett herum, und der Gedanke, dass ich genau in seiner Todesstunde bei dem Piloten gewesen war, schlimmer noch, dass ich imstande gewesen war, den Toten zu berauben, quälte mich, erschreckte mich, erfüllte mich mit unguten Vorahnungen. Es war, als hätte uns das zu Kompagnons gemacht, Over. Mich und den Leichnam. Auf einmal war er ein Problem für mich. Er und der ganze Koks hinter der Klappe. Und dann kam mir der auf den ersten Blick geniale Plan, zu dem Haus der Familie zu fahren und ihr einen anonymen Brief mit einer Landkarte zu hinterlassen, auf dem der Unfallort eingezeichnet wäre. Folgen Sie der alten Landstraße, biegen Sie in den Weg bei den Caranday-Palmen. Eine rot gepunktete Linie mit genauen Markierungen würde die Familie leiten. Ich brauchte fast eine Stunde, um die dubiose Karte zu zeichnen. Ein X an der Stelle. Hier ist Ihr Sohn gestorben. PS: Er hat nicht gelitten, Over.
    Mehr noch als das Bild von der im Fluss zurückgelassenen Leiche beunruhigte mich der Gedanke an das, was sich drinnen in dem Haus abspielen mochte. Wir sind sicher, dass esihm gutgeht, hatte seine Freundin im Fernsehen gesagt. Die weinende Mutter. Davon verstand ich etwas, Over. Von Müttern, die auf diese Weise zugrunde gehen, die sich totweinen. Bevor ich lernte, dass Menschen sterben, hatte ich gelernt, dass sie verschwinden. Sie gehen aus dem Haus und lösen sich in Luft auf. Lassen uns fassungslos zurück, das leere Bett betrachtend, das beinahe ein Schrei ist, ein Schlag am Morgen. Nacht für Nacht träumt man von ihnen. Träumt, dass sie leben, träumt, dass sie anrufen, träumt, dass sie wieder nach Hause kommen. Es sind stets die gleichen Träume, am Ende glaubt man tatsächlich, dass sie am Leben sind. Außerdem gibt es Studien, die besagen, dass siebzig Prozent der Verschwundenen zurückkommen. Vielleicht hat man sogar aufgehört, an Gott zu glauben,
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