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Leichendieb

Leichendieb

Titel: Leichendieb
Autoren: Patrícia Melo
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hätte schlimmer kommen können, dachte ich. Ich hätte einen Autofahrer auf der Straße umbringen können. Hätte Computerbetrug begehen, Geld veruntreuen oder mich aus dem zehnten Stock stürzenkönnen. Auf jeden Fall war ich in ein Loch gestürzt, darin versunken und vergammelt wie eine Tomate auf dem Asphalt, wenn der Markt vorüber ist. Ich war gerade noch mal davongekommen. So dachte ich über die Stadt. Und schwor, nie in dieses Leben zurückzukehren. Nie wieder, Over.
    Rita, die Frau meines Cousins, hatte mir aus dem Loch herausgeholfen. Als ich sie das erste Mal sah, sonnte sie sich gerade im Bikini bei der Tankstelle, und schon damals konnte man die elektrischen Funken spüren, die sie versprühte, um mich zu verbrennen. Sie war sechsundzwanzig Jahre alt und verkaufte Kosmetikartikel an der Haustür. Hübsch war sie nicht. Aber in ihrem Gesicht war etwas, das jedem auf Anhieb gefiel. Als Carlão mir das erste Mal von ihr erzählte und dabei erwähnte, dass er ihretwegen Frau und Töchter verlassen habe, war es genau diese Seite von Rita gewesen, die er meinte, ihre Neugier, ihr Lächeln, ihre Heiterkeit, er hatte sie sehr gut beschrieben. Ihre Nase war etwas zu groß, das Haar gefärbt, die Füße knochig und winzig klein, aber auf nichts davon achtete man in ihrer Gegenwart.
    Wenn Carlão einkaufen fuhr oder verreiste, kam sie herunter zur Tankstelle und leistete mir Gesellschaft. Kam mit frischem Kaffee auf mein Zimmer. Wir gingen schwimmen, in irgendeinem See in der Nähe. Dieser Ort hier ist das Ende der Welt, sagte sie immer. Endstation. Schau dir bloß mal an, wohin es dich verschlagen hat. Einen Schritt weiter, und du bist im Jenseits. Wenn du dich in der Richtung irrst, landest du in Bolivien.
    Manchmal saßen wir still nebeneinander, rauchten und blickten auf die leere Landstraße, bis sie mich eines Tages fragte, wer das Mädchen sei, das mich jeden Tag anrief. UnsereGesichter waren einander so nahe, dass ich den Kaffeegeruch ihres Atems spüren konnte. Meine Freundin, sagte ich. Und Sulamita soll der Name eines Menschen sein, fragte sie. Ich dachte, es sei ein Erz hier aus der Gegend. Aluminiumphosphat oder so. Ich lachte. Sie blieb ernst und sagte, sie sei gerade dabei, sich in mich zu verlieben.
    Am nächsten Tag machte ich mich aus dem Staub, ich wollte keine Probleme mit meinem Cousin.
    Nun war ich hier, ohne Arbeit und mit einem Kilo Koks, versteckt hinter einer Bodenklappe.
    Bevor ich duschte, ging ich die Treppe hinunter, über den Gang neben der Fahrradwerkstatt und schenkte der alten Indiofrau, der Mutter des Fahrradhändlers, die Fische. Serafina war ihr Name.
    Es gab noch ein paar Guatós in der Nachbarschaft, ich sah sie dort, mit ihren Mandelaugen, ihren Badelatschen, spätnachmittags spielten sie Fußball, übernahmen jede Art von Arbeit, Reparaturen von Blechschäden, Wachdienst, Putzen, sie würden sich nicht mehr an das Leben auf der Insel gewöhnen, von der das Militär sie vertrieben hatte und wohin sie später wieder zurückkehren durften, als die Pfarrer der Gegend sich für sie einzusetzen begannen. Serafina war lieber in der Stadt geblieben, nachdem ihr Mann wegen Herzproblemen im Krankenhaus gelegen hatte.
    Das einzige Problem bestand darin, dass sie nun, wo der alte Kazike gestorben war, bei ihrem Sohn wohnen musste. Die Familie lebte zusammengepfercht in zwei Räumen. Serafina schlief mit den drei Enkeln in der Küche, die direkt neben dem ehelichen Schlafzimmer lag. An den Wänden lehnten Schaumstoffmatratzen und hinter dem Kühlschrank hing Wäsche zumTrocknen. Das Schmieröl aus der Fahrradwerkstatt kroch allmählich die Wände hoch.
    Die Schwiegertochter gehörte nicht zu dem Indiovolk und regte sich auf, wenn die Alte Guató sprach. Die kleinen Indiokinder bekamen von der Mutter wegen nichts und wieder nichts eine Ohrfeige, und manchmal war auch für Serafina eine übrig, und zur Strafe wurde sie sogar auf die Straße gesetzt.
    Wenn das passierte, nahm ich sie mit in mein Zimmer. Sie war stets ganz verstört, ratlos, und fragte mich, meinst du, es war, weil ich an den Kühlschrank gegangen bin? Ich habe mir eine Banane genommen. War es vielleicht wegen der Banane?
    Sie sind alle in den Supermarkt gegangen, sagte sie an dem Abend, sie kommen gleich zurück, vollgepackt mit Konserven und Keksen, fügte sie hinzu und seufzte. Ich habe gebratene Wurst. Willst du welche? Ich überlegte, dass es gut wäre, nicht aus dem Haus zu gehen, mit dem ganzen Schnee hinter der
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