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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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gesagt, sie könne sich freuen, dass sie ihren Sohn, diesen Strolch und Mörder, los sei. Mutter erzählte mir, sie habe der Frau zu viel herausgegeben, nur um zu sehen, ob sie dreist genug war, das Geld einzustecken. Das war sie dann doch nicht gewesen.
    Vater sträubte sich dagegen, mich aufs Gymnasium zu schicken, weil er fürchtete, ich würde ein feiner Herr werden und ihn verachten. Damit hatte er schon recht, nur schade, dass ich kaum Zeit hatte, ihm meine Verachtung zu zeigen, bevor er starb. Sirkka besuchte die Mittelschule und die Handelsschule, während Rane nicht einmal den Volksschulabschluss geschafft hat. Er ist dann nach Helsinki gegangen, auf die Werft, wollte eigentlich zur See fahren, aber dazu reichte sein Mut nicht, und sein Magen war dem Seegang auch nicht gewachsen. Er war eben eine Landratte. Ich mag das Meer. Deswegen bin ich ins schwedischsprachige Küstengebiet gezogen, wo ich zu Fuß das unverbaute, freie Ufer erreichen und in einer halben Stunde aufs offene Meer hinausrudern kann. Außerhalb der Urlaubssaison sind hier nur Fischer unterwegs, und mit denen braucht man nicht zu reden.
    Es ist Nachmittag, ich versuche zu schreiben, aber es stellen sich nur falsche Wörter ein, solche, die Sara von sich geben könnte. Gänse fliegen über das Haus und schnattern, als wollten sie sich über mich lustig machen. Auch das ist purer Sara-Stil.
    Als wäre ich so wichtig, dass die Gänse sich die Mühe machen, mich zu verspotten. Ich schalte den Computer aus, setze mich in den Lehnstuhl und lese »Die sieben Brüder«.
    Meine Kindheit war zeitweise wie die Szene in dem Buch, in der Simeoni sich betrinkt: glasig stierende Augen und hoch aufragende Lederstiefel. Ich prägte mir die Geschichten ein, die Vater im Suff erzählte, und schrieb sie später unter meinem Namen nieder. Rane war schweigsam wie Mutter, es waren seine Augen, die den Mädchen den Kopf verdrehten. Die Einzige, die redet wie Vater, ist Sara.
    Ich bin bei meiner Lektüre gerade bei dem großen Brand am Impivaara, als Katja anruft. Die kleine Katja, pflegt Sara zu sagen, dabei ist Katja alles andere als klein, sie hat fast meine Größe, breite Schultern und einen Busen, der für zwei reichen würde. Sie ruft nicht oft an, wir stehen uns nicht nahe, obwohl Sirkka anfangs versucht hat, mich als Vaterersatz einzuspannen.
    Katja ist Musikwissenschaftlerin. Auf der Beerdigung habe ich sie singen gehört und mich gefragt, warum sie sich der Wissenschaft verschreibt, statt selbst Lieder zu machen und zu singen.
    »Stehen die Pilze gut?«, fragt Katja mit ihrer schönen, fröhlichen Stimme.
    »Pfifferlinge und Täublinge gibt es ziemlich viel, nur die Steinpilze sind ein bisschen madig.«

    »Ich dachte nur … Sonst bin ich zum Pilzesammeln immer nach Pielavesi gefahren, aber das geht ja jetzt nicht mehr, und ich mag Pilze … Könnte ich nicht irgendwann zu dir kommen?«
    »Ich schreibe gerade.«
    »Ich würde dich ganz bestimmt nicht stören. Ich geh allein in den Wald, ich kenne mich doch aus. Morgen vielleicht?«
    Ich lasse mich überreden. Mir graut vor dem Schreiben, das Mädchen ist ein guter Vorwand, die Arbeit aufzuschieben. Ich muss nachsehen, ob am Hügel schon Trompetenpfifferlinge wachsen. Vor einigen Wochen haben die Zeitungen über einen Bären berichtet, der die Gegend unsicher macht. Wenn ich die Geschichte ein wenig aufbausche, wagt Katja sich nicht allein in den Wald.

    Am nächsten Morgen fuhr ich mit dem Rad zum Dorfladen, der gleichzeitig als Postamt fungiert, und kaufte für Katja ein. Dann wartete ich an der Bushaltestelle auf sie. Als sie ausstieg, fiel mir wieder einmal auf, wie ungleichmäßig sie gebaut ist. Oben breit und unten schmal, mit langen, schlanken Beinen. Sie hatte ihre schwarzen Haare zu zwei Zöpfen geflochten wie eine Indianerin. Ich nahm ihre Tasche auf den Gepäckträger, Katja ging mit langen Schritten neben mir her. Sie hatte keine Einwände, als ich vorschlug, sie zum Pilzesammeln zu begleiten.
    Die Herbstluft war klar und frisch. Die Schwalben zwitscherten, als riefen sie zum Aufbruch. Am Waldrand wurden wir von Hirschlausfliegen empfangen, die sich an unsere Haare hefteten.
    Katja schrie nicht, sondern nahm die Biester gelassen zwischen ihre langen, schmalen Finger und zerquetschte sie. Ein echtes Landkind. Ich fragte mich, ob sie nach ihrer ersten Beziehung je wieder einen festen Freund gehabt hatte.
    Im Fichtenwäldchen hinter dem breiten Pfad war der Boden gelb gesprenkelt von Täublingen,
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