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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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im Magen. Aber ich blieb dabei: Heute würde ich nicht trinken, nicht an diesem Tag.
    Mutter hatte das Radio eingeschaltet, und das Wunschkonzert schallte durch das ganze Haus. Sie hatte mir aufgetragen, unter Großmutters Sachen auszusuchen, was ich haben wollte, bevor Sara alles an sich riss. Ich wollte nur die Schachtel mit den Briefen und die Katze, mit der ich als Kind gespielt hatte. Die Katze saß auf dem Fensterbrett der Bodenkammer, in der wir und Mutter früher geschlafen hatten. Der weiße Kachelofen war noch da, auch das Bett mit der Zierschnitzerei, das ich das Prinzessinnenbett genannt hatte, stand noch an seinem Platz, an der Wand hing immer noch der alte Kunstdruck, ein Gemälde von Edelfelt, auf dem die Sünderin vor Jesus kniet. Dieses Bild hatte ich von klein auf gehasst.
    Jetzt hatten sich Kaitsu und Veikko in der Bodenkammer eingerichtet. Da Sara Großmutters Schlafzimmer für sich in Anspruch nahm, mussten Mutter und ich in der Wohnstube schlafen. Wenn man zwei Bänke zusammenschob und Matrat-zen darüberlegte, bekam man eine Art Doppelbett. Als Kind hatte ich es spannend gefunden, auf der Bank zu schlafen, aber jetzt sehnte ich mich nach meinem eigenen, weichen Bett.
    Auf dem Dachboden schlug mir der vertraute Sägemehlgeruch entgegen. Ich trat leise auf, damit unten niemand hörte, wo ich gerade war. Die Briefschachtel hatte ich im Nu gefunden, denn Großmutter hatte ihre Sachen seit Jahren immer an derselben Stelle verstaut.
    Ich war neun gewesen, als sie mit mir die Sommergardinen vom Dachboden geholt hatte. Oben hatte ich sie gefragt, ob die Gardinen in dem fest zugeklebten Karton seien, da war sie plötzlich wütend geworden.
    »Finger weg!«, hatte sie gefaucht, und ich war zurückgesprun-gen wie eine Katze, die einem Igel in die Quere gekommen ist, denn Großmutter hatte sonst nie geschimpft. Ein einziges Mal nur hatte sie mich an den Haaren gezogen, weil ich ein frischgebügeltes Tischtuch zerknittert hatte.
    Als Tante Sara und ich ein paar Jahre später auf dem Dachboden nach Saras alten Schlittschuhen suchten, die ich erben sollte, fiel mein Blick wieder auf die Schachtel. Ich wollte wissen, was darin war. Sara war nicht wie die anderen Erwachsenen. Sie hatte zwar selbst Geheimnisse, plauderte aber gern aus, was andere im Verborgenen taten.
    »Da sind Ranes Sachen drin«, flüsterte sie mit rätselhafter Miene. Die Schachtel zog mich magisch an, doch gleich darauf fand Sara die Schlittschuhe, und wir mussten gehen.
    Ich hätte gern mehr über diesen Rane erfahren. Ich wusste nur, dass er Großvater mit einem Hammer den Schädel eingeschlagen hatte. Damals war ich fünf gewesen und Kaitsu zwei. Ein halbes Jahr vorher hatte sich unser Vater aus dem Staub gemacht.
    Die Schachtel war leichter, als ich sie in Erinnerung hatte, doch als ich sie schüttelte, hörte es sich genauso an wie früher.
    Ich verstaute sie in der Tasche, die ich mit nach oben genommen hatte, und beim zweiten Versuch gelang es mir, den Reißver-schluss zuzuziehen. Dann holte ich die Katze aus der Bodenkammer. Sie war aus grauer Wolle gehäkelt, mit Watte gefüllt und hatte eine dicke rote Zunge. Ich steckte sie zu der Schachtel in die Tasche. Da hörte ich meine Mutter rufen:
    »Katja, hilf mir mal beim Abtrocknen!«
    Veikko hatte Wegwerfgeschirr vorgeschlagen, doch davon hatte Mutter nichts hören wollen. Also hatten wir Tassen von den Nachbarn und vom Hausfrauenverein geliehen, und jetzt klapperte wütend das Geschirr. Als Kind hatte ich mich immer verzogen, wenn ich dieses Geräusch hörte, aber jetzt war ich erwachsen.
    Im Küchenschrank lag ein Stapel ordentlich gemangelter Geschirrtücher. Ich nahm das oberste, das mit Großmutters Initialen bestickt war: A. L. Aino Liimatainen. Ich trocknete das Geschirr ab und sortierte es. Großmutters beste Tassen, die mit dem Goldrand, waren nie benutzt worden, wenn ausschließlich Familienmitglieder zu Besuch kamen. Die Alltagstassen aus dünnem Porzellan mit buntem Blumenmuster waren mittlerweile begehrte Sammlerstücke.
    Die Haustür schlug zu, den Schritten nach war Veikko herein-gekommen.
    »Wir heizen die Sauna. Wollt ihr auch?«
    »Ich auf jeden Fall«, schnaubte Mutter mit schweißnassem Gesicht. »Was Sara will, weiß man nie. Hast du mit Korpelainen gesprochen?«
    »Er meint, wir sollten uns den Makler sparen. Dreihundert-fünfzigtausend bietet er. Das sind mehr als hundert Riesen für jeden«, brummte Veikko. Seine Stimme wurde tiefer, wenn er getrunken hatte,
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