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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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zum ersten Mal der Gedanke, dass mit Großvaters Tod und Ranes Selbstmord alles Übel seinen Anfang genommen hatte und dass ich mich besser fühlen würde, wenn ich herausfände, was damals wirklich passiert war.
    Als Großmutter ins Krankenhaus musste, fragte ich mich, ob Schuldgefühle krank machen können. Vielleicht hatte sie nur deshalb nie über Großvaters Tod sprechen wollen, damit niemand merkte, dass man den Falschen ins Gefängnis gesteckt hatte. Nach Ranes Selbstmord waren die anderen in Sicherheit, niemand würde den wahren Täter finden.
    Nasser Asphalt und wuchernde Weidenbüsche flogen vorbei, während ich an meinen toten Onkel dachte. Ich war sicher, ich würde Sara dazu bringen können, über Großvater und Rane zu sprechen, wollte das Thema aber nicht anschneiden, solange Kaitsu dabei war. Sollte ich Sara zum Kaffee einladen? Sie wohnte auch in Helsinki, nicht weit von mir, im Stadtteil Alppila. Nein, es war besser, zuerst die Briefe zu lesen. Vielleicht würde ich durch sie die Wahrheit erfahren, ohne jemanden fragen zu müssen.
    »Wollt ihr beiden euch eigentlich keine Kinder zulegen?«, erkundigte sich Sara plötzlich, drehte sich auf dem Beifahrersitz um und sah mir ins Gesicht. »Soll unsere Familie etwa ausster-ben?«

    Kaitsu bekam rote Ohren. Er würde Sara sicher keine Antwort geben. In seinem Fall war die Frage absolut lächerlich: Er war erst fünfundzwanzig und hatte es nicht eilig, eine Familie zu gründen. Ob er neuerdings eine feste Freundin hatte, wusste ich nicht, denn er sprach nie über solche Dinge.
    »Ich hab mir Gedanken gemacht, wisst ihr«, fuhr Sara fort, ohne auf eine Antwort zu warten. »Ich glaube, ich suche mir in irgendeinem Lokal einen intelligent aussehenden Burschen und lass mir von ihm ein Kind machen. Ein One-Night-Stand und bäng! Ein Kind kann ich auch allein großziehen. Mein Problem ist, dass ich immer auf die falschen Männer reinfalle. Ich werde Mutter, hört ihr? Der Mann braucht gar nichts davon zu erfahren.«
    »Tu das nicht!«, fuhr Kaitsu sie unerwartet heftig an.
    »Was ist denn dabei? Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.«
    »Ich würde mir jedenfalls nicht wünschen, dass eine Frau so mit mir umspringt«, sagte Kaitsu, hörte dann aber schweigend zu, als Sara uns ihren Plan erklärte. Sie würde irgendeinen attraktiven, intelligenten Mann aufreißen, nur für eine Nacht, denn alles andere bringe emotionales Chaos. Neun Monate später hätte sie dann ein Kind.
    Ich äußerte mich nicht dazu. Sara fasste ständig neue Pläne, mal wollte sie nach Italien ziehen, mal in die Politik gehen, dann wieder ein Restaurant eröffnen, aber sie hielt an keiner Idee lange fest. Wenn sie sich nicht gleich heute Abend einen Vater für ihr Kind angelte, hätte sie das Ganze morgen schon wieder vergessen.
    Kaitsu hatte aufs Gas getreten, wir hatten fast hundertzwanzig auf dem Tacho. Plötzlich unterbrach er Saras Gerede.
    »Denk doch mal nach! Dein Vater war ein Säufer, dein Bruder war ein Mörder, und du selbst bist total labil. Gegen solche Gene kommt auch der beste Zuchthengst nicht an!«

    Es dauerte einige Sekunden, bis Sara begriff. Dann brüllte sie los.
    »Halt sofort an! Mit dir fahre ich keinen Meter weiter!«
    Kaitsu trat auf die Bremse und brachte den Wagen an der Einmündung eines kleinen Waldwegs zum Stehen. Sara stieg aus, knallte die Tür ins Schloss und holte wütend ihren Koffer und die Geschirrkisten aus dem Kofferraum. Sobald sie den Deckel zuschlug, ließ Kaitsu den Motor wieder an. Er beschleunigte den Mercedes in wenigen Sekunden auf hundert und schaltete die Stereoanlage ein. Die Heavy-Metal-Band Niskalaukaus legte voll los. Nach dem ersten Song hielt Kaitsu wieder an und rief:
    »Setz dich nach vorn!«
    Ich folgte seiner Aufforderung, stellte die Lehne zurück und schloss die Augen. Sara würde schon irgendwie nach Hause kommen. Sie hatte ihr Handy dabei, und Mutter hatte sich den Kleintransporter vom Buchladen ausgeliehen. Ich ließ Kaitsu in Ruhe, bis sein Zorn verraucht war. Mit den Wutanfällen meines Bruders war nämlich nicht zu spaßen.
    Bei dröhnender Musik fuhren wir eine halbe Stunde lang schweigend weiter, an Leppävirta vorbei, dann an Varkaus.
    Kurz vor Joroinen klingelte mein Handy. Auf der Anzeige erschien Mutters Nummer.
    »Warum habt ihr Sara bloß so in Rage gebracht?«
    »Wo ist sie jetzt?«
    »Im Taxi, auf dem Weg hierher. Was glaubt ihr, wer das wieder bezahlt? Ich natürlich! Ihr hättet nun wirklich nach einer
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