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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena
Autoren: Weiss wie die Unschuld
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Wohnküche. In der Ecke bullerte ein aus Ziegelsteinen gemauerter Backofen, auf der Ofenbank räkelte sich eine Katze.
    »Aira, wärst du so lieb, Hauptmeister Kallio eine Tasse Tee einzuschenken? Ich sehe inzwischen im Saal nach, wie weit die Entspannungsübung gediehen ist.« Damit ging Elina Rosberg hinaus. Die Frau, die sie als Aira angeredet hatte, stand am Herd.
    »Aira Rosberg«, stellte sie sich vor. »Elinas Tante.«
    Auch ohne diesen Zusatz hätte ich eine Verwandte in ihr vermutet, die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen. Aira Rosberg musste über siebzig sein, doch sie war fast so groß wie ihre Nichte und hielt sich mindestens ebenso gerade. Sie hatte die gleiche lange schmale Nase und die gleichen hellblauen Augen.
    Nur die Haare sahen anders aus: Sie trug eine Helmfrisur in elegantem Stahlgrau.
    Der Tee war heiß und schmeckte nach Johannisbeeren. Das Brot, das Aira Rosberg mir anbot, lehnte ich dankend ab. Ich setzte mich in einen Sessel in der Ecke und versuchte, meinen Vortrag zu rekapitulieren, sah aber unwillkürlich immer wieder zu der Frau mit der grau gestreiften Marimekko-Schürze hin, die die Spülmaschine ausräumte. Welche Funktion hatte sie in Rosberga? War sie die Köchin? Sie arbeitete konzentriert und zügig, ohne sich weiter um mich zu kümmern, fragte nur einmal, ob ich noch Tee wolle.
    Die Zeit schien mir länger, doch der Uhr nach waren erst sieben Minuten vergangen, als Elina Rosberg zurückkam.
    »Wir sind bereit, wenn es dir recht ist.« Ich folgte ihr zurück in die Eingangshalle mit der breiten Treppe. Eine Flügeltür führte in einen Raum, der früher einmal der Festsaal gewesen sein musste. An den Wänden hingen kostbare Tapeten mit Rosen-muster, doch auf dem blank gewienerten Parkett standen keine Stilmöbel, sondern leicht gebaute Tische und Stühle, die sich bequem beiseite räumen ließen. Leider waren sie aufgestellt wie in einer Schulklasse. Elina zeigte mir das Rednerpult und den Overheadprojektor. Nachdem sie mich vorgestellt hatte, begann ich meinen Vortrag abzuspulen, zuerst ein wenig nervös, doch schon nach wenigen Minuten ganz locker und gelassen. Elina saß in der ersten Reihe und hörte aufmerksam zu, ihr hellblauer Pullover betonte die Farbe ihrer Augen. Sie hatte ihre langen Beine um die Stuhlbeine geschlungen, einer ihrer grauen Wollstrümpfe war nachlässig mit lila Garn gestopft. Nach einer Weile schlich sich Aira in die letzte Reihe. Sie hatte die Schürze abgelegt und wirkte eckig in ihrem grauen Flanellhemd und der dunkelblauen Hose. Die Frauen saßen still da und hörten zu, sie wirkten interessiert, eine schrieb sogar mit. Gerade so hatte ich mir die Teilnehmerinnen an einem Kurs für geistige Selbstverteidigung in Rosberga vorgestellt: durchschnittlich fünfunddreißig, leger gekleidet, mindestens die Hälfte mit rötlichen Haaren. Fast alle trugen Kalevala-Ohrringe, zwei von ihnen dieselben wie ich, mit kleinen Mondgöttinnen als Anhängern. Wenn ich im Publikum gesessen hätte, wäre ich nicht aufgefallen, niemand hätte mit dem Finger auf mich zeigen und mich als Polizistin identifizieren können.
    Zwei der Frauen stachen jedoch deutlich von den anderen ab.
    Die jüngere hatte extrem kurze, violett und schwarz gestreifte Haare und mehr Schminke im Gesicht als alle anderen Kursteilnehmerinnen zusammen. Während die anderen Frauen, offenbar wegen der Entspannungsübung, vorwiegend Trainingsanzüge anhatten, trug die mit den gestreiften Haaren ein schwarzes Minikleid, das ihr kaum über den Po reichte und sich über ihren Rundungen spannte, dazu eine schwarze Lederjacke und violette Stiefel mit Pfennigabsätzen. Trotz des Make-ups merkte man bei genauerem Hinsehen, dass sie kaum über zwanzig sein konnte.
    Sie starrte gelangweilt auf ihre langen, tiefvioletten Fingernägel und verzog unwillkürlich das Gesicht, sooft das Wort Polizei fiel.
    Die zweite Frau, die sich von den anderen unterschied, wirkte abgezehrt, wie jemand, der sein Leben lang schwer gearbeitet hat. Ihre stumpfen blonden Haare waren zu einem festen Dutt aufgesteckt, die regengrauen Augen blickten in die Ferne. Ihr Alter war schwer zu bestimmen, in der omahaften braunen Strickjacke und dem braun karierten Kleid hätte jede Frau ältlich gewirkt. Ich hätte sie gern von nahem gesehen und ihre Stimme gehört. Sie saß reglos da, und es war, als stecke sie unter einer Glasglocke, die sie von den anderen isolierte. Die anderen Frauen lächelten über meine Geschichten, fassten sich
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