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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz
Autoren: Hermann Kant
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heile Strümpfe stopfen kann, kann man einen Kurzschluß beseitigen, solange er nicht da ist.
    Dann kam mir ein merkwürdiger Verdacht: Dieses Mädchen fabrizierte den Fehler doch nicht etwa? Innig genug schien ihre Liebe zu Herrn Buttewegg ja zu sein, und Grütze hatte sie auch im Kopf, und dann hatte sie so komisch nach meinem Schaltplan geschielt – aber andererseits hatten Frauen im allgemeinen mit elektrischen Anlagen nicht mehr im Sinn als mit Pfeiferauchen.
    »Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu sein«, hatte der Verleger auf die Rückseite des Schmökers geschrieben, und er hatte damit nicht zuviel gesagt – ich konnte das Buch gerade noch beiseite schieben, als Sophie mit dem Mittag kam.
    Sie warf einen flüchtigen Blick auf das bunte Bändchen und sagte: »Einen schönen Beruf haben Sie.«
    »Das ist Fachliteratur«, sagte ich.
    Sie überlegte etwas, und dann meinte sie: »Mich wundert, daß Ihr Meister Ihnen keine Arbeit mitgegeben hat, die Werkstatt ist doch bestimmt voll davon …«
    »Halleluja«, sagte ich, »die Idee behalten Sie aber besser für sich!«
    »Ich denke doch nicht für Chefs«, sagte sie.
    »Sie heißen nicht alle Buttewegg«, wandte ich ein.
    Aber sie sagte nur kurz: »Solange sie nicht so weit oben sind wie der.«
    Mir fiel etwas ein: »Übrigens, wenn ich Sie wäre, würde ich mein Schlüsselloch verhängen.«
    Sie wurde ein bißchen rot. »Die Geschichte kennen Sie auch?«
    »Ja.« – So gut wie sie konnte ich schon lange erröten.
    Als sie die Teller zusammenstellte, fragte ich: »Warum bleiben Sie denn bei dem Kerl?«
    Sie nahm das Tablett auf und sagte: »Ich könnte natürlich auch in die Munitionsfabrik gehen …«
    Die Tür ging auf, Sophie schob mit der Tablettecke den Wallace auf meine Knie und wandte sich zum Gehen.
    Fräulein Buttewegg trug einen seidenen Morgenmantel von der Farbe dünnen Himbeergelees und ein Lächeln aus dem gleichen Stoff.
    »Ei, ei, Sophie«, sagte sie und drohte wahrhaftig mit dem Finger, »lassen Sie sich nur nicht von diesem blaugekittelten Gesellen verführen!«
    »Er war gerade dabei«, sagte Sophie und ging.
    Ich griff hastig nach dem Schaltplan und machte mein Spezialistengesicht.
    Fräulein Buttewegg hockte sich auf den Stuhl, auf dem eben noch das Mädchen gesessen hatte, und obwohl ich nicht aufsah, spürte ich, daß sie mein Gesicht abweidete.
    »Schöne Augenbrauen haben Sie«, sagte sie, und ich brummte: »Nicht wahr?«
    »Müssen Sie denn immer arbeiten?« fragte sie nicht ohne Vorwurf.
    »Wenn Sie wieder Licht haben wollen, ja.«
    »Ich mag es aber, wenn es dunkel ist.«
    So wie sie aussah, war das zu verstehen.
    Sie rückte auf ihrem Stuhl näher, griff mir unter das Kinn und sagte: »Ich studiere Gesichter.«
    Ich lehnte mich zurück und fragte: »Kann man davon leben?«
    »Schelm«, sagte sie, dann legte sie den Kopf in den Nacken und flüsterte vor sich hin: »Gesichter sind wie Landschaften. Haben Sie schon einmal bemerkt, wie lange die Dichter bei der Beschreibung von Gesichtern verharren können? Ich möchte einmal ein Buch zusammenstellen …«
    »Das wird Arbeit machen«, sagte ich, aber sie ließ sich nicht stören.
    »… ein Buch aus lauter Gesichtern, so wie die verschiedensten Dichter sie beschrieben haben … ›Das Gesicht der Dichter‹, würde ich das Buch nennen …« Sie starrte an die Decke und blätterte in dem Buch der Gesichter.
    Ich dachte, mit deinem könnte man es kurz machen, man brauchte nur zu schreiben: »Hätte man ihre Züge auf einer Kartoffel gefunden, so wäre man verblüfft über die Menschenähnlichkeit der Knolle gewesen.«
    Fräulein Buttewegg klappte ihr Gesichterbuch zu und fragte: »Lesen Sie auch manchmal?«
    Sie fing meinen Blick auf und studierte den Umschlag des »Elektrotechnischen Handbuchs«. »Nicht doch«, sagte sie, »haben Sie denn nichts anderes im Kopf als diese garstige Arbeit? Meiden Sie denn das Schöne ganz und gar?«
    Sie räkelte sich so auf ihrem Stuhl, daß ich wohl merkte, welche Art Schönheit sie im Sinn hatte.
    Dann stand sie auf, ging an den Bücherschrank ihres Herrn Papa und kehrte mit einem prächtigen Goldschnittband zurück. Sie schlug ihn auf, Staub wirbelte durch die Luft, und sie sagte ergriffen: »Schiller – Die Jungfrau von Orleans – wollen wir es einmal lesen?«
    Jetzt wünschte ich, nie in dieses Haus gekommen zu sein. Die schmutzigste Erdkabelarbeit hätte ich Fräulein Buttewegg als Jungfrau von Orleans vorgezogen. Die aber war
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