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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz
Autoren: Hermann Kant
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zurückzukehren. Daran war ja nicht zu denken – ausgerechnet wir! Aber der Spaß war uns auch so sicher.
    Die beiden Mädchen wollten ihre neuen Kleider schon am Vormittag anziehen – meine Mutter erledigte das miteiner Handbewegung. Immerhin erreichte Alida einen Teilerfolg, als ihr »das Rote« genehmigt wurde. Das Rote war ein Dirndlkleid und eigentlich auch nur »für gut«, aber Alida kam mit meiner Mutter eben immer am weitesten. Einmal, weil sie die Jüngste war, und zum anderen ihres Namens wegen. Um diesen Namen hatte es heftige Kämpfe zwischen meinen Eltern gegeben. Mein Vater, der bei Judith einmal klein beigegeben hatte, war gegen eine so überkandidelte Bezeichnung wie Alida gewesen – »So heißen Herdbuchkühe oder welche vom Kintopp!« –, aber gegen meine Mutter, die gesagt hatte, die Namen ihrer Kinder seien der einzige Luxus, den sie sich leisten könne, war er nicht aufgekommen. Nur bei mir hatte er sich durchgesetzt.
    In der Schule ging es schon hoch her, als wir ankamen. Die Sackhüpfbahn war mit bunten Fähnchen abgesteckt, in der Mitte des Hofes hatten sie einen Klettermast aufgestellt, und an der Turnhalle standen bunte Buden.
    Der Kampf um die Königswürde in meiner Klasse wurde mit Lederbällen ausgetragen, die einer riesigen Pappfigur in den gewaltigen Rachen zu werfen waren. Ich hatte da nicht viel zu bestellen, denn nach dem Urteil meines Vaters war ich um die Hände rum der größte Dösbartel, der in unserer Gegend ansässig war.
    Zuerst schien es ja, als würde ich ihn wenigstens einmal widerlegen, denn im ersten Durchgang landeten alle fünf Bälle im Rachen der Pappfigur, die übrigens auffällige Ähnlichkeit mit dem Biologielehrer Heinius hatte. Aber im Stichkampf ging ich schmählich unter, da ich immer nur den rechten Eckzahn von »Heini« traf.
    Sieger und somit Klassenkönig wurde Pieke Holmers. Pieke hieß eigentlich Reginald – ein Name, der es meinerMutter angetan hatte –, Pieke war der Gipfel an Häßlichkeit, Faulheit und Dummheit nicht nur in unserer Klasse, sondern in der ganzen Schule. Kein Wunder, daß sein Sieg nur geteilte Freude bei unserem Klassenlehrer auslöste: König Pieke, o mein Gott!
    Alida war beim Sackhüpfen – diese Sportart war stets der untersten Klasse vorbehalten – von vornherein geschlagen, denn sie hatte so herrlich gebogene Beine, daß sie sich auch ohne die künstliche Hemmung eines Zuckersackes ständig auf die eigenen Zehen trat. Ihr machte das nichts aus, sie war von einer wunderbaren Wurstigkeit und vollauf zufrieden, da sie das Rote anhaben durfte.
    In der achten Klasse spielten die Mädchen Taubenstechen. Eine Holztaube mit einem Nagel an Stelle des Schnabels schwebte an einer langen Schnur gegen eine Zielscheibe und bohrte sich dort fest. Klar, wer mit drei Würfen die höchste Ringzahl erreichte, war Königin.
    Ich kümmerte mich nicht um diesen Wettbewerb, denn daß Judith da keine Aussichten hatte, stand für mich fest: die Mädchen aus der Achten, zwei Klassen über mir, waren ja fast schon erwachsen, aber Judith war nur meine Schwester.
    Ich sah gerade den ältesten Jungen beim Armbrustschießen zu, als Werner Gideon zu mir kam und sagte, meine Schwester sei Königin.
    Zuerst begriff ich das gar nicht, aber dann rannte ich nach Hause. Meine Mutter war dabei, den Fußboden im Windfang zu schrubbern, als ich ihr mitteilte, sie sei Königinmutter geworden.
    »Ist ja fein«, sagte sie und schrubberte weiter. Dann stellte sie jedoch plötzlich den Besen beiseite: »Moment mal, wieso, wer, Judith? – Dann gibt das doch einen Festzughier, wie? Ach du meine Güte! All die vielen Leute, und wie das hier aussieht!«
    Meine Mutter konnte fix arbeiten, aber so hatte ich sie noch nie gesehen. Sie langte sich wieder den Besen und scheuerte den Boden fertig, zwischendurch rief sie, ich solle nicht so dämlich rumstehen und die Steine vom Weg sammeln und die Straße fegen und Stärke für Judiths Kleid vom Krämer holen und die Ziege von der Wiese und Tante Ella Bescheid sagen und die Pumpe noch mal angießen, denn sie brauche noch Wasser, und ob ich denn nicht sehen könne, daß da frisch gescheuert sei, und wo denn die verflixten anderen beiden Gören blieben.
    Meine Mutter hatte für Königinnen viel übrig; schließlich hieß sie ja Luise, und die berühmte Preußin mußte nach ihren Worten wirklich eine großartige Person gewesen sein, hatte sie doch all ihr Geschmeide (welch herrliches Wort, Geschmeide!) für den Kampf gegen
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