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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz
Autoren: Hermann Kant
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in der Tasche, wie ich ihn mir unangenehmer kaum denken konnte.
    Meine Chance war so groß wie die des jüngsten, ärmsten und dümmsten Müllerburschen, was im Märchen freilich eine ganze Menge ist, im Märchen ja …
    Während ich durch die noch dunkle Mühlenstraße fuhr, deren holpriges Pflaster sich über Nacht mit einer dicken Schneeschicht bedeckt hatte und an deren Ende das alte Haus des Herrn Buttewegg gelegen war, dachte ich an die üblen Geschichten, mit denen mich die Lehrlinge der anderen Meister traktierten, wenn wir einmal in der Woche in die hauptstädtische Berufsschule reisten.
    »Mensch«, sagten sie, »hast du ein Glück, daß der Buttewegg nie auf die Idee kommen wird, deinen Meister zu rufen, da könntest du was erleben. Kaum bist du da, strahlt alles im hellsten Lichterglanze, kaum bist du weg, ist es zappenduster. Mein Alter hat gesagt, die ganzen Strippen müßten raus, die könnte Galvani noch selbst gezogen haben; aber was meinst du, was der Schnapspanscher angibt – bei Appendizitis, sagt er, exstirpiert man auch nur den Blinddarm –, ich hab ein Wörterbuch mitgehabt, das brauchst du bei dem Kerl.
    Und dann läuft er immer mit einer Uhr herum und schreibt auf, wie oft du in der Minute den Schraubenzieher drehst. Dabei hätte er sich für das Geld, das er bisher hat blechen müssen, die Bruchbude dreimal neu installieren lassen können.
    Schade um den Schnaps, denn den hätte man nötig, wenn man da gewesen ist. Die anderen im Hause spinnen nämlich auch. Seine Alte ist seit Jahren nicht mehr aus ihrem Schlafzimmer rausgekommen, und das Bett ist, glaube ich, zur gleichen Zeit frisch bezogen worden, als sie die Lichtleitung legten.
    Wenn du da in die Stube mußt, kriecht sie so lange unter die Decke, bis du wieder raus bist.
    Und die Tochter, Mann, die liegt auch bis in die Puppen im Bett, aber die wirft die Decken weg, wenn du reinkommst, und dem Franz hat sie schon mal wo hingefaßt.
    Der einzige Lichtblick ist das Dienstmädchen, Sophie heißt sie, bloß zu landen ist bei der auch nicht … Na, tröste dich man, ich glaube, da müßte Theodor Buttewegg schon seinen ganzen Fusel alleine ausgetrunken haben, bevor der deinen Meister einlädt, seinen Kurzschluß zu suchen …«
    Als ich mein Fahrrad an die Hauswand des Herrn Buttewegg lehnte, erwartete ich denn auch, den Besitzer des Anwesens im Delirium anzutreffen.
    Aus einigen der kleinen Fenster fiel sanftes gelbes Licht in den noch fast unberührten Schnee auf der Straße – es trat so ruhig und sicher durch die Scheiben, als wollte es für alle Ewigkeit weiterleuchten.
    Die alte Haushälterin, der ich sagte, ich sei der Elektriker, wiederholte die Berufsbezeichnung in einem Ton, der mir sogleich klarmachte, daß das in diesem Hause ein Schimpfwort war.
    Ich hatte Herrn Buttewegg schon öfter gesehen, darum erschrak ich nicht, als er die Stiege heruntergetrippelt kam.
    Er sah aus, als wollte er auch mit seiner äußeren Erscheinung deutlich machen, daß zwischen einem Fabrikanten feinsten Branntweins und einem vulgären Bierbrauer ein Unterschied weit wie der Himmel liege. Bierbrauer sind – zumindest ist das eine weitverbreitete Ansicht – in Statur und Gemüt den Pferden, die ihr Produkt vom Hof weg in die Kneipen schleppen, ähnlich, sie sind grobknochige,breitschultrige, dickwänstige Kerle, die gar nicht wissen, wohin mit all ihrer Gesundheit.
    Nicht so Herr Buttewegg. Er war ein Hänfling, und ein häßlicher obendrein.
    Statt meinen Gruß zu erwidern, musterte er mich scharf und sagte mit einer Stimme, die irgendwer mit einer Schrotfeile bearbeitet zu haben schien: »Ihr Chef sprach von einem Spezialisten …«
    »Und er weiß, was er sagt«, antwortete ich.
    »Deliziöse Antwort«, raspelte er und schickte sich an, mir die Geschichte seiner Leiden zu erzählen. Als er das erste Mal »und dann passierte es« gesagt hatte, unterbrach ich ihn, was mir einen Blick mit einer tüchtigen Ladung Strychnin darin einbrachte.
    »Herr Buttewegg«, sagte ich und versuchte wie ein ergrauter Spezialist für Kurzschlüsse dreinzuschauen, »er sparen Sie mir diese Quisquilien; was Sie da mit dem wohl eher ins Medizinische greifenden Ausdruck ›perio dische Malaise‹ zu bezeichnen suchen, ist nichts weiter als ein ordinärer schleichender Kurzschluß …«
    Ich glaube, hätte ich ihm auf die Schulter geschlagen und »Das werden wir bald haben, Sie häßlicher kleiner Giftmischer!« gesagt, er hätte nicht geschockter aussehen können.
    Er
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