Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz
Autoren: Hermann Kant
Vom Netzwerk:
und mit abgegriffenen Lappen kriegte er niemanden satt, nicht wahr?
    Jedenfalls mußten sie das Richtige zu ihm gesagt haben, denn ich saß nun auf diesem vereisten Mast und konnte zusehen, daß ich nicht daran anfror. Im Sommer machte die Arbeit an der Freileitung vielleicht Spaß, aber jetzt fragte ich mich, warum ich nicht Bäcker gelernt hatte.
    Wenn man wenigstens mit den Füßen hätte trampeln können, aber die saßen in den Steigeisen, und die wieder hatte ich schön fest in das gefrorene Holz gehakt.
    Darauf paßte ich gut auf, seitdem ich einmal einen alten Mast hinabgerutscht war: aus dem Holz, das danach in meinen Händen stak, hätte man einen feinen Kaninchenstall bauen können.
    Aber das war im Sommer gewesen und schien mir nun vergleichsweise angenehm. Man muß so was mal probiert haben: so bei acht Grad unter Null und Ostwind an einem glitschigen Holzmast hängen und gesprungene Isolatoren auswechseln. Großartig!
    Der Schlaumeier, der die Leitung gebaut hatte, mußte beim Physikunterricht gefehlt haben – »Wärme dehnt die Körper aus, Kälte zieht sie zusammen!« –, sonst hätte er doch die Strippen nicht so stramm aufgehängt, daß man befürchten mußte, sie würden einem bei der nächsten Berührung um die Ohren fliegen.
    Die Leitung lief quer über den großen Gutshof, und ich saß auf dem mittleren Mast. Viel Leben war nicht auf dem Hof. Einmal rumpelte ein leerer Wagen über den gefrorenen Dreck und verschwand hinter der Scheune mit dem zerrissenen Strohdach, dann und wann tauchte ein krummbeiniger Hund auf, schnüffelte an meiner Werkzeugtasche herum und verkrümelte sich wieder. Der glaubte doch nicht etwa, daß ich Frühstück mitgebracht hätte?
    Frühstück, hm … Ich sah zum verschneiten Dach des Gutshauses hinüber; aus dem Schornstein kam vielversprechender Rauch. Ich hätte der Mamsell einen Wink geben sollen, aber eigentlich könnte sie auch alleine draufkommen. Ob ich einfach mal runterstieg?
    Aus der jetzt offenen Tür dahinten kam eine weiße Wolke, und irgendein Mädchen im Küchenkittel winkte zu mir herüber. Sie rief etwas, es hieß sicherlich »Früh stück !«, aber der Deibel sollte mich holen, wenn ich das bemerkte. Die sollten mal sehen, was arbeiten heißt. Da hört und sieht man nichts, da ist man ganz weg und denkt nicht einmal an solche Nebensachen wie Essen und Trinken. Sollte sie doch rankommen und sich mal ein Bild von rauher Männerarbeit machen. Das war immer eine feine Sache, wenn die Mädchen auf der Straße stehenblieben und neugierig-ängstlich zu einem raufsahen; da war man doch wieder froh, daß man kein Bäcker gewordenwar. Aber das Mädchen verschwand wieder, Gottsverdorri! Wenn sie nun nicht wiederkam? Die dachte doch nicht etwa, daß ich kein Frühstück wollte? Aber jetzt konnte ich nicht mehr hinunter; sie hätten sich nur lustig über mich gemacht.
    Ach so, sie hatte sich nur was übergezogen und kam jetzt über den Hof gelaufen. Sie hatte Holzpantinen an und rutschte ein paarmal aus.
    Dann stand sie neben der Werkzeugtasche. Viel war nicht an ihr, soweit ich sehen konnte.
    Sie drehte sich bald den Hals aus und piepste: »Ob Sie was essen wollen!«
    »Das ist kein Satz«, sagte ich und bummerte wegen der Wirkung ein bißchen gegen die eiserne Traverse.
    »Wie bitte?« piepste sie, und es klang ausgesprochen dümmerlich.
    »Bitte reden Sie in vollständigen Sätzen mit mir«, sagte ich, »ich bin Elektriker, und das heißt, ich bin gebildet, und tun Sie man nicht so, als ob’s kalt wäre!«
    Jetzt lief sie weg; sie hatte dünne Beine. Ich klopfte noch mal kräftig gegen die Traverse und schnallte mich dann los. Herrje, war ich steif geworden! Wenn ich jetzt runterrutschte, würde ich ein dutzendmal durchbrechen.
    Die Steigeisen ließ ich neben dem Mast liegen, den Gürtel behielt ich um, das machte sich immer gut.
    Ich zog ein gelangweiltes Gesicht, als ich in die Küche kam, aber die Mamsell sah nur, daß es blaugefroren war, und sie fragte mich, ob ich armer Junge auch um Gottes willen warme Unterhosen anhätte, sonst könnte ich mir »bei diese erbärmliche Küll« noch das Reißen holen. Die Mädchen lachten – auch die Piepsige –, und ich machte, daß ich an den Frühstückstisch kam.
    »Wollen Sie denn nicht den Schmachtriemen abnehmen?« fragte die Mamsell. »Das drückt doch auf den Magen und ist gewiß schädlich für die Verdauung.« Ich nahm den Sicherheitsgurt ab, und es war ganz egal, daß Spiegeleier und Schinken,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher