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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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die Nase zu, trat ein, sah noch, wie das bleiche Spitzmausgesicht mit den Kreiselaugen blitzschnell unter der teerfarbenen Bettdecke verschwand, merkte mir den Verlauf der Leitungen und war wieder draußen. Ach, wie köstlich die Luft im staubigen Korridor eines morschen Fachwerkhauses schmecken kann!
    Dann stand ich vor einer Tür, die einen auffallend neuen rosafarbenen Lackanstrich hatte. Hier wohnt die Tochter der bleichen Zieselmaus, dachte ich und versuchte, so spröde dreinzusehen, wie es nur gehen wollte. Wie jedermann in der Stadt kannte ich das Angesicht der jungen Dame Buttewegg und auch ihren Ruf.
    Nach dreimaligem Klopfen und keiner Antwort öffnete ich vorsichtig die rosa Pforte des jungfräulichen Gemachs.
    Dornröschen schlief. Welch ein Glück, denn, Jesus, welch ein Gesicht!
    Dornröschen erwachte. »Huch«, sagte sie mit einem leisen Raspeln in der Kehle, das die Vaterschaft des Herrn Buttewegg bewies, und fragte, während sie die rosa Bettdecke lüftete und den Blick auf ein rosa Nachthemd freigab, was ich Schlimmer denn so früh von ihr wolle.
    »Nichts«, sagte ich, und es war die lautere Wahrheit.
    Sie drehte sich mit einer Bewegung auf die Seite, die sie wohl für das Lockräkeln einer Pantherin hielt, die tatsächlich aber den Eindruck machte, als würde ein rosa umtülltes Brett hochkant gestellt.
    Ich notierte in meinem Kopf den Verlauf der Leitungen unter der rosafarbenen Tapete und ließ Dornröschen allein.
    Rosa ist eine häßliche Farbe, dachte ich und machte, daß ich in mein Studierzimmer kam.
    Während ich den Schaltplan des Schreckensgeschosses auf mein Millimeterpapier übertrug, klopfte es, und ein Mädchen kam herein.
    Entweder hatte mir der Anblick von Zieselmaus und Tochter völlig die Augen verdorben oder aber die Jungens, die vor mir nach dem Butteweggschen Kurzschluß fahndeten, hatten heillos übertrieben: Ein Lichtblick war sie jedenfalls nicht für mich, eher schon die Sachen, die sie auf einem Tablett hereintrug.
    So haben also auch unangenehme Aufträge ihre angenehmen Seiten, fand ich, nachdem ich noch einmal auf das Tablett gesehen hatte.
    Das Mädchen warf einen irgendwie belustigten Blick auf das technische Zeichenwerk, das ich über Herrn Butteweggs Schreibtisch hingebreitet hatte.
    Sie fragte: »Wollen Sie jetzt immer hier in diesem Zimmer essen?«
    »Na, ›immer‹«, sagte ich, »ich werde ja mal wieder gehen.«
    Sie nickte. »Natürlich, aber der Spaß wird bleiben.«
    »Der Spaß? … Hören Sie mal, wie reden Sie denn über eine Sache, die Ihren Chef beinahe um den Verstand bringt?«
    »Ist das vielleicht kein Spaß?« sagte sie. »Und von welchem Verstand reden Sie eigentlich?«
    »Er hat damit immerhin ein schönes Stück Geld zusammengekratzt«, meinte ich.
    »Mit dem Verstand?« Sie sah mich an, als wären mir plötzlich Fledermausflügel gewachsen.
    Da sie mich so genau betrachtete, warum sollte ich es nicht auch?
    Sie war etwa ein Jahr älter als ich, aber das spielte keine Rolle, weil ich sie ohnehin nicht hübsch fand. Sie trug einen losen Pullover mit kurzen Ärmeln; in der linken Armbeuge hatte sie eine große Narbe. Ihren Händen sah man an, daß sie schon mehr als einen Sack Kartoffeln damit geschält hatte. Ihre Strümpfe schlugen Wellen unter den Knien.
    »Sie müssen die mal hochziehen«, sagte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. »Das nützt nichts, Fräulein Buttewegg hat eben längere Beine als ich.«
    »Rosa Strümpfe gibt es wohl nicht?« sagte ich. »Aber wieso lassen Sie sich von der was schenken?«
    »Aha, Sie kennen sie also.«
    »Es mußte sein. Aber wirklich, von der würde ich mir nichts schenken lassen.«
    »Sie haben wohl drei Punktkarten«, sagte sie.
    Ich schob meine Forschungsutensilien beiseite und zog das Tablett heran.
    Sie ging zur Tür und sagte: »Guten Appetit bei Herrn Butteweggs Frühstück!«
    »Drei Lebensmittelkarten habe ich jedenfalls nicht«, sagte ich wütend.
    Sie lachte, und dann versuchte sie, ihre Strümpfe hochzuziehen.
    »Das nützt nichts«, sagte ich, und sie ging hinaus.
    Als ich mich gründlich gelabt hatte, griff ich nach dem »Elektrotechnischen Handbuch«. Ich zog einen Band Edgar Wallace heraus und legte den Schutzumschlag wieder sorgfältig um die anderen beiden Buchdeckel. Wenn ich schon nicht hinter das Geheimnis des Kurzschlusses kam, so wollte ich wenigstens wissen, was es mit dem Tresorknacker von Soho auf sich hatte.
    Im Moment konnte ich sowieso nichts anderes tun, denn ebensowenig wie man

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