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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug
Autoren: Joy Fielding
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Anwesenheit bezeugen könnte.«
    »Das ist doch einfach lächerlich.« Gail schloß die Augen. Sie würde sich keine Fragen mehr anhören, ehe der Kommissar nicht bereit war, ihre Antworten zur Kenntnis zu nehmen. Eddie war kein Kinderschänder. Und ein Mörder erst recht nicht. Genausowenig wie Mark Gallagher. Die Polizei verplemperte ihre Zeit, statt draußen nach dem Täter zu suchen.
    »Was tun Sie, um den Mörder zu finden?« Sie wußte instinktiv, daß es der nächste Morgen war, als sie diese Frage stellte. Sie wußte es, obwohl niemand sich vom Fleck gerührt zu haben schien. Die Sonnenstrahlen fielen schräger auf den Blumenstrauß am Fenster, die Schwestern wirkten frischer, tüchtiger, ihre Handlungen schienen präziser. Sie bewegten sich so zuversichtlich, als gäbe es wirklich einen Grund dafür. Man hatte vergessen, ihnen zu sagen, daß kein Grund vorhanden war.
    Gail hatte den größten Teil der Nacht dem gesichtslosen Mörder ihrer kleinen Tochter gegenübergestanden. Sie hatte ihn töten wollen, es aber nicht fertiggebracht. Sie hatte die Chance verpaßt, den Tod ihres Kindes zu rächen und so wenigstens einen Teil ihrer Schuld abzutragen. Sie wußte, daß es der nächste Morgen war, weil sie sich noch müder fühlte als am Abend zuvor.
    »Was tun Sie, um den Mörder zu finden?« wiederholte sie und überlegte, ob der Kommissar ihre Frage beim ersten Mal nicht gehört oder ob sie vielleicht nur in Gedanken gesprochen hatte.
    »Wir tun, was in unsrer Macht steht.« Die Beteuerung des Kommissars klang wie eine eingelernte Floskel. »Jeder verfügbare Mann ist auf den Fall angesetzt. Wir haben alle vorbestraften Sexualverbrecher des Staates überprüft. Ihr Mann hat sich bereits die Fotos angesehen, um festzustellen, ob ihm einer von den Kerlen bekannt vorkommt. Wir möchten auch Sie darum bitten, wenn Sie sich wieder etwas kräftiger fühlen.«
    »Ich werd’ mir die Bilder jetzt ansehen.«
    Er holte bereitwillig einen Stapel Fotos aus der Tasche. Gail betrachtete sorgfältig jedes Gesicht. Einige waren jung, andere nicht, manche wirkten auf den ersten Blick unsympathisch, andere sahen recht gut aus. Keiner kam ihr bekannt vor. Sie gab Lieutenant Cole die Fotos zurück. »Die sind alle so... normal«, sagte sie schließlich verwundert. Sie hatte erwartet, daß man das Böse an den Zügen eines Menschen ablesen könne.
    »Wir führen eine Serie von Tests durch«, sagte Lieutenant Cole.
    »Tests? Was denn für Tests?«
    »Der Mörder hat eine deutliche Fußspur im Schlamm hinterlassen. Davon machen wir’nen Abdruck. Ferner werden Speichel-, Blut- und Samentests vorgenommen.«
    Die letzten Worte trafen sie wie ein Schlag in die Magengrube. Der bittere Geschmack in ihrer Kehle wanderte hinauf zum Mund, sie würgte, und im nächsten Augenblick erbrach sie sich in die Schüssel neben ihrem Bett. Binnen Sekunden war eine Schwester neben ihr und hielt ihr den Kopf. Der Kommissar verschwand.
    Als sie ein wenig später flach auf dem Rücken lag, Jack ihre Hand hielt und im Zimmer nichts mehr zu hören war außer ihrem Atem, überlegte sie, wieso sie noch am Leben sei, obwohl alles in ihrem Innern abgestorben schien.

     
    Die Journalisten warteten vor dem Krankenhaus auf sie. Wie harte, flinke Kieselsteine schleuderten sie Gail ihre Fragen entgegen, bedrängten sie mit ihren Körpern und mit ihren Kameras.
    »Haben Sie irgendeinen Verdacht?«
    »Hat die Polizei Ihnen einen Hinweis darauf gegeben, in welche Richtung ihr Verdacht geht?«
    »Gibt’s Indizien oder Spuren?«
    Wie im Fernsehen, dachte sie und schwieg.
    »Wie stehen Sie zur Todesstrafe?«
    Jemand antwortete. Später hörte sie in den Nachrichten erstaunt, daß sie selbst es gewesen war, die den Reportern erklärte, sie sei weder blutrünstig noch rachsüchtig, sondern wünsche lediglich, daß der Mörder gefaßt werde. Sie habe vollstes Vertrauen in die Arbeit der Polizei.
    Woher hatte ich bloß die Kraft, das zu sagen, überlegte sie.
    Sie saßen im Fond des Polizeiwagens, der sie nach Hause brachte. Jack blickte starr hinaus auf die Straße. Er ließ ihre Hand nicht los. Lieutenant Cole saß vorn neben dem Fahrer.
    »Ich möchte Sie warnen«, sagte er über die Schulter. »Vermutlich warten vor Ihrem Haus noch mehr Reporter auf Sie.«
    Gail nickte schweigend. In Gedanken memorierte sie den Autopsiebefund.
    Während sie mit der Vorstellung kämpfte, wie man ihr schönes Kind im Dienste der Wahrheitsfindung seziert hatte, erklärte ihr die Polizei,
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