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Lebenschancen

Lebenschancen

Titel: Lebenschancen
Autoren: Steffen Mau
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die es ankam. Einen großzügigeren und damit auch moderneren Lebensstil konnte man sich erst im Zuge des einsetzenden Wirtschaftsaufschwungs gönnen. Der zuvor allgegen
wärtige Mangel wurde von einem breiten Konsumangebot abgelöst. Manche Autoren sprechen im Hinblick auf die Entwicklung der Einkommen, Vermögen und des Lebensstandards gar von einer »Wohlstandsexplosion«: Zwischen 1950 und 1989 stieg das Volkseinkommen in Deutschland 13-mal stärker als zwischen 1900 und 1950. In Preisen von 1989 entspricht dies einem Sprung von 8600 auf 36 000 D-Mark (Merkel/Wahl 1991). Caterina Valente sang das Motto dieser Jahre: »Es geht besser, besser, besser«. Im Vergleich zur Bundesrepublik war die DDR deutlich ärmer und auch nivellierter. 1989 war das reale Bruttoeinkommen pro Kopf im Westen ungefähr dreimal so hoch wie im Osten (Ritschl/Spoerer 1997), und noch heute gibt es ein starkes West-Ost-Gefälle des Wohlstands, das sich in ungleiche sozialstrukturelle Lagerungen übersetzt.
    Mit dem Wirtschaftsaufschwung schien es möglich, den permanenten, regelmäßig wiederkehrenden Pannen des kapitalistischen Betriebs zu entkommen und statt einer Verelendung der Massen Wohlstand für die große Mehrheit zu produzieren. Massenwohlstand und Massenkonsum wurden dabei ein Geschwisterpaar. Der von den USA ausgehende Fordismus kombinierte die Fließbandproduktion mit der Verwandlung des Arbeiters in einen umworbenen Konsumenten. Die Verbreitung von Warenhäusern, die Technisierung der Haushalte, die Automobilisierung der Gesellschaft (vor allem der Verkaufserfolg der Mittelklasse -Wagen) – all diese Aspekte stehen für eine auf die Befriedigung der Konsumbedürfnisse der breiten Massen ausgerichtete Produktionsweise: »Die zentrale Botschaft des neuen Konsums lautete, ein hohes Maß an Sicherheit und Gleichheit auf Mittelschicht-Niveau schaffen zu können, ob man nun als Angestellter, Facharbeiter, als Beamter oder Handwerker sein Geld verdiente.« (Nolte/Hilpert 2007: 82)
    Eine Konsumgesellschaft ist nicht einfach eine Gesellschaft der »Käufer«. Sie impliziert zugleich die Ausbildung neuer Lebensstile, Konsummuster und Geschmacksformen. Der ameri
kanisch-kanadische Ökonom John Kenneth Galbraith sprach von der affluent society (1958), um diesen neuen Gesellschaftstypus, der sich durch einen Überfluss an privaten Gütern auszeichnet, zu charakterisieren. Andere bezeichneten die Bundesrepublik als »pluraldifferenzierte Wohlstandsgesellschaft« (Bolte 1990). Die Identität von Arbeitern und anderen Arbeitnehmern speist sich dann nicht länger allein aus ihrer Stellung im Produktionsprozess, sondern verstärkt aus ihrer Rolle als Nachfrager von Waren. Die Ausweitung des Konsums hat dabei allerdings zugleich dazu geführt, dass die mit dem Erwerb und Gebrauch bestimmter Güter verbundenen Distinktionsgewinne kleiner wurden, zumindest wenn man den hochpreisigen Luxussektor einmal außer Acht lässt. Der Besitz eines eigenen Autos, Urlaubsreisen, die eigenen vier Wände usw. – dies alles war nun für die breite Masse der Bevölkerung erschwinglich, nicht zu reden von Bekleidung und anderen Waren des täglichen Bedarfs. Während die Menschen in Deutschland um 1900 noch drei Fünftel des für den Konsum verfügbaren Einkommens für Nahrungsmittel ausgaben, liegt dieser Wert heute bei gerade einmal 13 Prozent, eine Entwicklung, die Ressourcen für die Erfüllung anderer Konsumwünsche freisetzte. Natürlich gibt es noch immer die berühmten »feinen Unterschiede«, die sich am Geldbeutel festmachen, aber in der mittleren Zone der Sozialstruktur sind diese weniger markant und sozial folgenreich als in früheren Zeiten.
    Die Nachkriegszeit war also geprägt von der Erfahrung des Immer-Mehr. Wie auf einer Rolltreppe blieben die Abstände zwischen den sozialen Gruppen zwar erhalten, alle fuhren jedoch ein oder sogar mehrere Stockwerke nach oben. Ulrich Beck greift an dieser Stelle auf ein anderes Fortbewegungsmittel zurück, er hat den Trend des kollektiven Mehr mit dem Begriff des »Fahrstuhleffekts« treffend beschrieben:

    »Die Klassengesellschaft wird insgesamt eine Etage höher gefahren. […] Gleichzeitig wird ein Prozeß der Individualisierung und
Diversifizierung von Lebenslagen und Lebensstilen in Gang gesetzt, der das Hierarchiemodell sozialer Klassen und Schichten unterläuft und in seinem Wirklichkeitsgehalt in Frage stellt.« (1986: 122)

    Wie überrascht die bundesdeutsche Gesellschaft selbst von dieser Entwicklung
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