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Lebenschancen

Lebenschancen

Titel: Lebenschancen
Autoren: Steffen Mau
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Verknüpfung zwischen dem Status diverser Gruppen auf dem Arbeitsmarkt und ihrer Stellung im System sozialer Sicherheit. Diejenigen, die auf dem Markt eine gute Position einnehmen, dürfen auch erwarten, dass sie im Falle des Eintritts eines Lebensrisikos gut abgesichert sind. Besonders wichtig war dabei die Rentenreform von 1957, die den Status der Rentner sichern sollte. Die Rente wurde von einer Grundsicherung zum Lohnersatz umgebaut und die individuelle Einkommensposition über die Erwerbsbiografie hinweg zum wichtigsten Faktor bei der Bemessung der (zukünftigen) Rente. Zugleich wurde der Unterschied zwischen Lohn- und Rentenempfängern wesentlich verringert und die Teilhabe der Ruheständler am allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung ermöglicht.
    In den Selbstbeschreibungen der Mittelschicht spielen staatliche Subventionen und Hilfeleistungen kaum eine Rolle. Nur so erklären sich Aussagen wie die folgende des Leiters der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung : »Allen soll gegeben werden, wenigstens ein bisschen. Allen – nur nicht uns. Wir sind
die Mittelschicht. Was anderen gegeben ist, fehlt uns.« (Beise 2009: 12) Selbst wenn es zum Selbstbild einer eigenverantwortlichen Mittelschicht nicht so recht passen mag: Die Menschen in diesem Segment der Gesellschaft profitieren ganz wesentlich von staatlichen Transfers und Interventionen. Sie kommen ohne den Staat nicht aus. Ohne Tarifgesetzgebung, Steuerrecht und Umverteilung wäre es weit weniger einfach, Schicksalsschläge zu bewältigen. Auch Teile der Mittelschichten sind im Grunde »Versorgungsklassen« (Lepsius 1979: 179). Das ganze Segment der Mittelschichtrentner hängt am Tropf staatlicher Transfers. Auch Familien mit Kindern und verheiratete Paare profitieren spürbar von Kinderfreibeträgen, Kindergeld oder Ehegattensplitting. In vielen Ländern wäre die Mitte nicht einmal halb so groß, wenn man nur das Markteinkommen berücksichtigen würde (Dallinger 2011; Pressman 2009). Genau genommen müsste man sagen, dass es in jeder Mittelschichtbiografie Phasen gibt, in denen man auf staatliche Transferleistungen angewiesen ist (Kindheit, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter), und andere, in denen man darauf verzichten kann. Wer nicht nur die Erwerbsjahre eines Menschen berücksichtigt, sieht schnell, in welchem Ausmaß der Verbleib in der Mitte auch davon abhängt, wie stark der Staat das Geld innerhalb des Lebensverlaufs umverteilt.
    Der Staat organisiert und kanalisiert aber nicht nur Transfers, er ist auch ein wichtiger Arbeitgeber und (ko)finanziert im Bereich der sozialen Dienstleistungen ein ganzes Beschäftigungssegment, in welchem typische Mittelschichtberufe angesiedelt sind. Zur Mittelschicht gehören nicht nur viele Staatsdiener in den öffentlichen Verwaltungen, sondern auch Beschäftigte im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen, welche gesetzlich vorgeschriebene Aufgaben erbringen und öffentlich finanziert werden. Im Bereich sozialer Dienstleistungen verschmelzen Markt, Staat und Zivilgesellschaft, viele im Hinblick auf Trägerschaft und Organisation hybride oder halböffentliche Anbieter tummeln sich hier. Zahlreiche Professionen und Tätigkeitsfelder,
die wir mit der Mittelschicht verbinden, wachsen also im Schatten des modernen Interventionsstaates (de Swaan 1988). Immerhin 14 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland sind direkt beim Staat (Bund, Länder, Kommunen) angestellt. Trotz des sehr umfassenden Wandels des öffentlichen Sektors im letzten Jahrzehnt handelt es sich dabei, zumindest für das Gros der Beschäftigten, um ein recht sicheres Beschäftigungssegment. Ebenfalls sehr groß ist die Gruppe, welche direkt oder indirekt von staatlichen Ausgaben abhängig ist, man denke nur an niedergelassene Ärzte und ihre Angestellten, den öffentlich finanzierten, aber privaten Bildungsbereich oder die Forschungsförderung. Ganz allgemein gilt: Ein schlanker Staat geht oft mit einer schlanken Mittelschicht einher, ein ausgebauter Staat mit großer fiskalischer Kraft und einem breiten Aufgabenspektrum dagegen mit einer tendenziell größeren.
    Die Vermessung der Mitte
    Wir haben nun schon zahlreiche Überlegungen zur Entwicklung und Positionierung der Mittelschicht angestellt, aber immer noch keine genaue Vermessung der Mitte vorgenommen. Wer gehört dazu, wie groß ist die Mittelschicht, welche Kriterien bestimmen die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe? Während der Begriff der sozialen Schicht in der öffentlichen Kommunikation
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