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Lebensabende & Blutbaeder

Lebensabende & Blutbaeder

Titel: Lebensabende & Blutbaeder
Autoren: Manfred Rebhandl
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vermögen ihn die Augen des Heiligen so vorwurfsvoll und hasserfüllt anzusehen – wie der Landesschulinspektor den Analphabeten –, dass sich der Mallinger aus Angst vor diesem Radaubruder und seinem bösen Blick immer die Ferrari-Bettdecke bis über beide Ohren hinaufzieht, nur um darunter die Donnerstimme des Heiligen umso deutlicher zu vernehmen, die ihn beständig an das unverzeihliche Unglück seines Lebens erinnert:
    „Mallinger!“, schreit der randalierende Heilige dann, der gerne mal die Fassung verliert. „Weil du nicht Auto fahren kannst, haben sie mich an der Abzweigung nach Aussee auch noch aufgestellt, du Scheiß-Typ! Und jetzt fährt mich jeden zweiten Tag einer von euch besoffenen Bauerntrotteln über den Haufen und reißt mir den Schädel ab, immer und immer wieder! Hättest du damals nicht aufpassen können, du Pfeife?“
    Verzweifelt versucht der Mallinger den gewaltigen Hieben des tobenden Heiligen auszuweichen, der ihn mit dem 2-Meter-Lineal in kleine Stücke zu säbeln versucht. Wie ein Sumoringer wirft er sich im Halbschlaf hin und her, sodass sein Bett mittlerweile aussieht wie das mit sechs Schweinderln überbelegte Zwei-Mann-Zelt auf einem Ministrantenlager.
    Doch kaum ist er den wütenden Angriffen dieses ungehobelten Klotzes entkommen, fliegt ihm in einem nächsten Traum auch schon der nächste Schädel um die Ohren. Diesmal ist es der von seiner Gemahlin Hertha, die damals neben ihm auf dem Beifahrersitz im Audi Quattro gesessen ist.
    Und dann hört er in dolby surround wieder das Krachen der Karosserie, die zusammengesetzt einmal sein ganzer Stolz war, bevor sie in kleinen Fetzen im Mischwald zu liegen kam, so wie viel früher schon der Ferrari vom Niki in der Nordkurve des Nürburgrings.
    Christophorus, oh Treuer, behüt’ uns am Steuer.
    Damals! Immer wieder damals!
    Bis vor fünf Jahren war das Glück doch selbstverständlicher Gast in seinem Leben, wie der Herrgott im Winkel. Zwar hat auch die Hertha nicht ausgesehen wie ein Boxenluder (blond, willig und nymphoman). Dafür war sie zu rotbackig und grobknochig, zu sulzig waren ihre Füße und zu durchsichtig ihre Haut. Aber sie hat ihm den schmerzhaften Stachel Einsamkeit aus seinem Gesäß gezogen, als sie vor bald fünf Jahren drüben in Gosau „Ja“ gesagt hat, „ja, ich will“. Und auf den Tag genau neun Monate später hat der Storch den kleinen Niki gebracht – Hallelujah! So eine Punktlandung gefällt dem Herrn.
    Aber Obacht! Wo viel Licht, da auch viel Schatten. Das Unfaire und Unsinnige, das Unverständliche und nicht Steuerbare sind die unmanierliche Verwandtschaft des Glücks, die man besser nicht in sein Haus hereinlässt, weil sie sich den Schmutz nie von den Schuhen streift. Das weiß auch ein jeder, der schon einmal glücklich war. Außer der Biermösel vielleicht, der das Glück überhaupt nur aus den Sisi-Filmen kennt.
    Der Biermösel hätte damals natürlich die Autoindustrie nicht ungeschoren davonkommen lassen dürfen, sieht auch der Mallinger heute ein, wenn er sich nach dem Crash bei der Rekonstruierung des Unfallherganges nur die Mühe gemacht und die Verschuldensfrage gestellt hätte. Anstatt alles dem nassen Laub auf der Straße in die Schuhe zu schieben und den unerwarteten Spätwinter im Frühsommer in die Pflicht zu nehmen, hätte er sich auch fragen können:
    Darf denn die Autoindustrie einem wie dem Mallinger so eine 300-PS-Allrad-Maschine aus Sindelfingen überhaupt andrehen? War denn nicht absehbar, dass ein so gehemmter und unsicherer Mensch wie er aus Gründen der Kompensation seiner Minderwertigkeit ständig das Gas durchtreten würde wie früher der Niki? Und wieso hat denn die Bezirkshauptmannschaft einem so schmalen und kleingewachsenen Deutschlehrer mit so dicken Brillengläsern überhaupt einen Führerschein ausgestellt, einem bekennenden Marienverehrer obendrein, der beim Rasen stets auf die schützende Hand der Jungfrau vertraute, weil er sich vorbildlicher Rosenkranzbeter nannte mit Schwerpunkt „Segensreicher“?
    Schon viel früher hätte der Biermösel diesen ortsbekannten Raser aus dem Verkehr ziehen müssen, der stets blind den Kräften des Himmels vertraute, nachdem er den Turbo gezündet hat, weil ja ohnehin der heilige Christophorus als Medaillon vom Rückspiegel herabbaumelnd als Beschützer bei ihm mitfuhr. Kann denn da in Dreiherrgottsnamen etwas schief gehen, hat sich der Mallinger frohen Mutes gefragt, als er damals solcherart doppelt und dreifach abgesichert im
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