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Lebensabende & Blutbaeder

Lebensabende & Blutbaeder

Titel: Lebensabende & Blutbaeder
Autoren: Manfred Rebhandl
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einmal nicht eine Wetterkapriole die nächste gejagt hätte, auch nicht jetzt im Spätsommer. Oder soll er schon sagen: im Frühherbst? Da müsste man einmal eine genaue Unterscheidung treffen, denkt sich der Biermösel, was jetzt genau in dieser Gegend ein Frühherbst ist und was ein Spätsommer. Vielleicht obliegt es ja ihm, fasst er eine leise Hoffnung seinen nahenden Lebensabend betreffend, dass er diese Frage zur Zufriedenheit aller beantwortet und so vielleicht doch noch in die Geschichtsbücher eingehen könnte, wer weiß denn schon, was kommen wird?
    Naja, denkt sich der Biermösel jetzt und hört auf, deppert auf den See hinauszuschauen, dann schreibt er halt das Frühpensionsansuchen. Weil wenn nicht jetzt, dann wieder nie. Und wenn das passiert, dann kann er es erst recht wieder nicht bei der Schule drüben ins Postkasterl hinein schmeißen. Und dafür hat er sich dann auch wieder nicht sein Leben lang für das Staatsganze zerrissen, dass er einen Tag länger arbeiten täte, als es der Gesetzgeber, der Trottel, von ihm verlangt!
    Das mit dem Schreiben freilich war nie die große Stärke vom Biermösel. Die einzigen Buchstaben, mit denen er was anfangen kann, sind die in der kräftigen Rindsuppe von der Roswitha drüben im Auerhahn, wo sie neben den Fettaugen im Suppenteller schwimmen. Aber mit Buchstaben einen Brief schreiben? Lieber täte er noch heute alleine als Vorhut und ohne kugelsichere Weste in einen Mischwald mit zehn, zwölf schießwütigen Waidmännern aus der komplett skrupellosen Jägerschaft vorstoßen, als dass er freiwillig einen Brief schreiben möchte. Darum hat er die alte Olivetti damals vor fünfunddreißig Jahren gleich zu Dienstantritt ganz oben auf die Stellage gestellt, dorthin, wo auch der lange Arm von der Anni samt ihrem Besen am Stiel nicht hinlangt. Kein Wunder also, dass sich augenblicklich ein wahrer Staubsturm entfaltet, wie er sie nach all der Zeit wieder einmal herunternimmt und auf den Schreibtisch stellt. So voller Dreck ist die Olivetti, dass der erst einmal eine volle halbe Stunde lang die ganze Raucherlunge heraushustet, na bumsti! Lange tut er es sowieso nicht mehr.
    Die Olivetti, meine Güte! Andere schreiben heute schon mit dem Computer, aber für den Biermösel seine Ansprüche tut es die Olivetti immer noch, sie muss es tun. Er hat sie damals vom alten Biermösel übernommen, wie der ihn oben in Linz eingeschrieben hat, und keine Frage, dass er vom Alten auch die immense Schreibschwäche gleich mit dazu übernommen hat. Bis heute gibt es jedenfalls keine Schreibkraft von Weltrang, die mit Nachnamen Biermösel heißt. Dazu kommen erschwerend die dicken Wurstelfinger, die der Biermösel selbstredend auch vom Alten mit übernommen hat und die einen flüssigen Schreibprozess sowieso schon im Keim ersticken, wie das Kamel zum Nadelöhr passen seine Pratzen zur Olivetti. Da könnte er das Pensionsansuchen genauso gut mit der Motorsäge in ein Buchenscheit hineinschnitzen, schneller ginge es auf jeden Fall. Weil kaum dass er es anschlägt, klemmt auch schon das E, und wie bitte soll er jetzt seinen Namen als Absender draufschreiben, wenn das schon wieder so anfängt?
    Die gewisse eklatante Schreibschwäche schleppt der Biermösel seit seiner Volksschulzeit mit sich herum, und das Leiden hat sich auch in der Hauptschule nicht zum Besseren gewendet. Also hat er sich nicht ärgern dürfen, dass er auch später auf der Gendarmerieschule oben in Linz kein Dichter mehr geworden ist. Und wenn er heute wo was hinschreiben muss, das dann auch noch den gewissen offiziellen Charakter hat, dann schmeißt er die Nerven sowieso schon weg, noch bevor er überhaupt seinen Absender oben rechts hingeschmiert hat. Oder gehört der oben links hin? Da hast es, fängt das Theater schon an!
    Der Gedankenfluss klemmt obendrein. Da wird jetzt wieder nur der Griff in die Lade helfen. Ob ihm die Anni schon draufgekommen ist, fragt er sich, dass er mehr Flaschen Marillenschnaps im Schreibtisch gebunkert hat als Handschellen und Schießprügel? Und ob sie in der untersten Schublade schon die Mon Chéri entdeckt hat, die er für den Fall der Fälle immer für sie bereithält? Wundern täte es ihn nicht! Schließlich kennt die Anni als Paradezugeherin jede Lade in Aussee, da werden ihr auch seine intimsten Geheimnisse nicht verborgen bleiben. Er denkt sich jetzt: Soll sich doch die Anni um das verstaubte B kümmern, wenn sie morgen zum Aufwischen kommt. So lange wird das Pensionsansuchen auch noch
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