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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy
Autoren: M Weins
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sage ich: »Wenn ich mich an diese Ortswechsel erinnere, dann waren sie stets mit dem Durchschreiten einer Tür verbunden. Ich trete durch eine Tür, allerdings komme ich nicht wie gewünscht im Nebenraum an, sondern ganz woanders. Ich scheine ein Problem mit Türen zu haben. Es sind die Türen. Was denken Sie darüber? Sie sind mein Arzt. Ich denke, Sie sollten darüber Bescheid wissen. Was sagen Sie?«
    Dr. Brose sieht etwas eingeschüchtert aus.
    »Türen«, sagt er. »Ach so. Nun. Ich fürchte, dass ich auf diesem Gebiet kein Fachmann bin. Vermutlich muss ich Sie zu einem Spezialisten überweisen.«
    »Was für ein Spezialist?«, frage ich.
    »Verstehen Sie mich nicht falsch«, er guckt mich entschuldigend aus runden Augen an, »ich bin Experte für das Körperliche – und hier scheint es sich doch mehr um ein geistig-seelisches Phänomen zu handeln, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Nicht direkt«, sage ich.
    Dr. Brose schaut auf seine Unterlagen hinab, vermeidet den direkten Blickkontakt.
    »Ich denke, ich sollte Sie zu einem Neurologen oder Psychiater überweisen. Oder einem Psychologen.« Er wirft mir einen raschen Blick zu, schreibt dann weiter auf seinem Block herum.
    »Natürlich müsste man von vorneherein ausschließen, dass es nicht doch einen körperlichen Befund gibt, das ist sicherlich der nächste Schritt. Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagt er, »ich finde Ihren Fall absolut faszinierend.«
    Ich sage nichts, ich schrumpfe still, ich schweige.
    »Wir machen als Nächstes eine CT, wir schieben Sie in die Röhre, dann sehen wir sicherlich klarer. Bitte lassen Sie sich vorne einen neuen Termin geben, ja?«
    »Sie sind der Boss«, sage ich mit Piepsstimme und erhebe mich in Zwergengröße.
    Auf dem Weg durch den Flur zum Empfang überdenke ich das Gesagte: Türen. Am Empfangstresen vereinbare ich bei der serbokroatischen Praxishilfe mit dem harten Akzent, den ich automatisch imitiere, das ist so eine Macke von mir, die einige Menschen als unhöflich empfinden, einen Folgetermin. Ich frage mich, ob es bei jeder Tür aufgetreten ist. Ob ich ein generelles Türenproblem habe. Der Doktor hat mich an eine Röntgenpraxis überwiesen und mir ein angstlösendes Medikament verschrieben, wobei ich vorher nicht den Eindruck hatte, dass Angst mein Hauptproblem darstellte, vorher nicht, jetzt ja. Ich bin gespannt, ob es knallt, das Medikament. Außerdem werde ich mich in einer fremden Praxis einer Computertomografie unterziehen müssen, damit er weiß, ob mit meinem Gehirn alles okay ist. Mir fallen, wenn ich überlege, genug Türen ein, die ich problemlos benutzt habe. Überhaupt Wahnsinn, wenn man sich klarmacht, durch wie viele Türen man jeden Tag so geht. Zum Beispiel diese hier. Ich öffne die Tür des Gebäudes, in dem sich die Arztpraxis befindet. Draußen scheint die Sonne. Durch das Türglas sehe ich einen Linienbus auf der vierspurigen Straße vorbeifahren.
     
    5
    Erst weiß ich nicht, wo ich mich befinde. Das ist ärgerlich, denn Monika wartet in ihrer Wohnung darauf, dass ich ihr vom Arztbesuch berichte. Ich habe ihr gesagt, dass ich zum Arzt ginge, weil ich mich in letzter Zeit besonders zerstreut fühlte, ich hätte manchmal regelrechte Blackouts, Gedächtnislücken, ob es ihr aufgefallen sei?
    Wir haben abgemacht, dass ich anschließend direkt zu ihr fahre. Jetzt aber stehe ich am Ufer eines Flusses, ein großer Fluss, graugrünes Wasser. Genauer gesagt stehe ich am Fuß einer reich verzierten Fußgängerbrücke, Barock, grauer, alter Stein, Statuetten auf den Balustraden. Am gegenüberliegenden Ufer hoch droben thront eine stattliche Burg auf einem Hügel. Auf der Flanke des Hügels stehen Weinstöcke Spalier. Es sieht irgendwie süddeutsch aus. Ich drehe mich um und stelle fest, dass sich zwei Schritte hinter mir die Tür eines Andenkenladens befindet, wie praktisch.
    Ich klaube mein Handy aus der Tasche. »Monika«, sage ich, »ich fürchte, ich schaffe es doch nicht. Ich habe gerade noch von Marcel einen ganz eiligen Auftrag bekommen. Ja, doof, tut mir wirklich leid. Hast du heute Abend schon etwas vor? Ich koche etwas für dich, okay? Hm. Hm. Ach so, ja, der konnte auch noch nicht so richtig sagen, was mit mir los ist. Ich muss noch ein paar Untersuchungen machen lassen usw. Erzähl ich dir alles heute Abend in Ruhe, okay?«
    Dann rufe ich in der Redaktion an und sage, dass ich heute nicht komme, weil der Arzt mich krankgeschrieben habe.
    Die Sonne scheint, die Burg auf dem Hügel
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