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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy
Autoren: M Weins
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Gleichklang, im Takt.
     
    5
    »Hallo Regina«, spreche ich auf die Mailbox. »Es tut mir leid, wenn ich schon wieder ohne ein Wort verschwunden bin. Ich musste eine 13-jährige Freundin von mir besuchen, sie heißt Daphne, und ich glaube, du hast einmal mit ihr telefoniert. Es hatte etwas mit Monika zu tun, ich dachte, ich könnte Monika hier direkt oder indirekt helfen, egal, das erkläre ich dir ein andermal, das führt jetzt zu weit. Daphne wohnt hier alleine mit ihrem Onkel auf der Schwäbischen Alb, und der Onkel ist krank, und so oder so ist es gut, wenn hier mal einer nach dem Rechten sieht. Ja. Ich mache mich jetzt bald wieder auf den Weg hoch zu euch. Ich möchte nur, dass du weißt, wo ich bin, und wenn du magst, ruf mich gerne zurück. Es tut mir leid, aber ich fürchte, das gehört einfach bei mir dazu, so, wie es ist. Ich kann beim besten Willen nicht sagen, ob es das letzte Mal gewesen sein wird, dass ich einfach so abhaue. Ich werde in Zukunft zumindest versuchen, wenigstens eine Person wissen zu lassen, wo ich bin und was mein Verschwinden jetzt schon wieder zu bedeuten hat und wann ich eventuell zurück sein werde. Ja. So ungefähr. Liebe Grüße an euch beide, und bitte drücke Monika einen Kuss von mir auf die Stirn. Ich beeile mich. Heiner.«
     
    6
    »Wo ist eigentlich dein Onkel?«, frage ich.
    »Oben«, sagt Daphne.
    »Wie immer«, sage ich.
    »Wie immer«, bestätigt Daphne.
    » Der Onkel .« Ich mache eine kreisende Geste mit beiden Handflächen, die bedeuten soll, Mystik, Zauber, Scharade, der sagenumwobene In-Anführunsgzeichen-Onkel. Ich wische mir die letzten Tränen aus den Augen.
    »Genau«, sagt Daphne, »genau der Onkel, mein Onkel.«
    »Kann ich ihn jetzt sehen? Kann ich ihn kennenlernen?«
    »Klar«, sagt Daphne.
    Auf der mit falschem Wildschweinfell überzogenen Treppe ins erste Stockwerk frage ich: »Was war eigentlich noch mal genau mit deinen Eltern? Warum wohnst du bei deinem Onkel?«
    »Habe ich das nicht schon erzählt?«
    »Nicht, dass ich wüsste.« Wir bleiben stehen, halten uns am Treppengeländer fest.
    »Meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Und meine Mutter ist verschwunden, als ich fünf Jahre alt gewesen bin.«
    »Wie?«
    »Wir waren mit dem Auto unterwegs, da habe ich sie zum letzten Mal gesehen. Sie hat mich entweder im Stich gelassen oder etwas sehr Schlimmes ist passiert. Ich sehe uns noch im Auto sitzen, meine Mutter vorne, beide Hände um das Lenkrad geschlossen, mit wollenen Handschuhen und einer Wollmütze mit Bommel auf dem Kopf. Und hinten auf der Rückbank ich mit einem rotem Rock und einer dunkelblauen Wollstrumpfhose an den Beinen. Und ich höre meine Mutter sagen: Ich möchte, dass du hier sitzen bleibst und auf mich wartest, auch wenn es lange dauert. Du wartest hier auf mich, du rührst dich nicht von der Stelle, ja? Und dann war sie weg. Das war das letzte Mal, dass ich meine Mutter gesehen habe.«
    »Und dann?«, frage ich.
    »Ich blieb sitzen und wartete. Ich war ein braves Mädchen damals.«
    »Krass«, sage ich. »Und dein Vater?«
    »Keine Ahnung. Meine Mutter hatte bei meiner Geburt keinen leiblichen Erzeuger angegeben. Sie hatte damals wechselnde Freunde. Ich habe keine Ahnung, wer mein Vater ist. Ich schätze, sie selbst wusste es nicht wirklich.«
    »Und sonst«, frage ich, »Familie?«
    »Ich bin dann zu meinem Onkel gekommen.«
    »Der Bruder deiner Mutter?«
    »Genau. Der kleine Bruder. Er hat sich gefreut, als er mich bekommen hat. Zumindest hat er mir immer das Gefühl vermittelt.«
    »Was macht er eigentlich die ganze Zeit da oben, abgesehen davon, dass er krank ist, was macht er beruflich beispielsweise?«
    »Er ist Schriftsteller«, sagt sie. »Er denkt sich Geschichten aus.«
    »Oha«, sage ich. »Schriftsteller. Toll. Kann er davon leben?«
    Ich stelle mir so einen Spitzwegtypen vor, der unter einer Dachschräge mit einer weißen Zipfelmütze auf dem Kopf im Bett kauert und sich Geschichten ausdenkt.
    »Du weißt genau, dass das unser Problem ist.«
    »Was für eine Art Literatur schreibt er denn?«
    »Frag ihn selbst, ich verstehe nichts davon.«
    »Hahaha«, sage ich. Weil sie mir in der Hütte des Mittlers ausführliche und komplexe Zusammenfassungen inklusive Interpretationen und literaturgeschichtlicher Einordnungen jedes verdammten Buches, das sie jemals gelesen hat, geliefert hatte. Die Liste war beeindruckend, nicht nur für ihr Alter.
    »Was ist denn nun eigentlich seine Krankheit?«
    »Mein Gott«, sagt Daphne, »bin
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