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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy
Autoren: M Weins
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muss mich gewaltsam daran erinnern, dass sie 13 Jahre alt ist und ich 35. Und dass eigentlich klar sein sollte, wer sich hier verantwortlich zu verhalten hat und wer für wen die Verantwortung übernimmt.
    »Ha«, mache ich.
    »Heiner«, fleht Daphne.
    »Ausprobieren«, sage ich mit einer ganz sonderbaren, einer schrecklichen Stimme, die irgendwo aus einem Wildpark entlaufen ist. »Wir müssen die Tür im Keller ausprobieren, sofort.«
    Etwas zu grob reiße ich Daphne von ihrem Stuhl hoch. Der Glückstee in meinem Becher schwappt über.
    »Vielleicht sind die da drüben ja doch zur Vernunft gekommen«, sage ich mit der Hand auf der Klinke. »Oder die Tür hat sich einen anderen Ausgang gesucht, den Brunnen der verrückten Alten oder so.«
    Ich sammele mich. Ich atme tief durch. Ich atme bewusst in meine Hand auf der Klinke hinein. In meine Füße auf dem Estrich. In jenen Punkt im Unterbauch, in dem die Angst sitzt. So habe ich es einmal in einem Meditationskurs gelernt. Das hier ist wichtig. Es hängt so viel davon ab. Ich werde hinübergehen und dort drüben ein für alle Mal die Welt in Ordnung bringen, was bedeuten wird, dass die Welt auf dieser Seite der Tür fortan auch in Ordnung gebracht ist. Ich atme so tief, als hinge mein Leben davon ab. Ich atme bis in die tiefsten Klüfte meines Körpers und meiner Seele hinein, eine Feierstunde, eine Morgenröte des Sauerstoffs, ich stelle mir vor, dass ich atme, bis die ersten zarten Lungenbläschen platzen. Plip. Plop.
    »Was machst du da?«, fragt Daphne vorsichtig.
    Und wenn ich Monika dort drüben gefunden habe, dann reiße ich sie mit mir mit, ohne groß um Erlaubnis zu fragen, und dann können meinetwegen alle Brücken brennen und alle Türen hinter mir verrammelt werden.
    Ich öffne die Tür.
     
    4
    Hier bin ich noch nie gewesen. Der Raum ist vollkommen leer, graue, unregelmäßige Wände aus Beton oder einem ähnlichen Material, leer bis auf ein altes rotes Kinderrad, das neben mir an einer Wand lehnt, Stützräder, weißer schmutziger Sattel, auf dem Klingeldeckel ist eine Spinne im Netz abgebildet, und eine Heizungsanlage, oder zumindest eine Anlage mit Kupferrohren und einem größeren Kessel, die ich für eine Heizungsanlage halte. Nichts bewegt sich in diesem Raum. Es ist sehr still hier. Es gibt keinen zweiten Ausgang, keine weitere Tür, kein Fenster. Eine Glühlampe hängt nackt in einer schwarzen Fassung unter der Decke und schnitzt scharfe Schatten.
    Bin ich in einem Beeker Keller gelandet? Ich halte die Luft an, denn es gibt nur einen Weg, um dies herauszufinden, zurück durch die Tür, die mich hierher geführt hat. Ich öffne die Tür.
    Daphne guckt mich mit großen, traurigen Augen an.
    »Und?«, fragt sie.
    »Keller«, sage ich.
    Tränen laufen ihre Wangen hinab.
    Ich versuche es erneut, gehe erneut durch die Tür. Wieder derselbe Keller. Einfach ein Keller, Daphnes Keller. Die Tür funktioniert nicht mehr für mich.
    »Du musst es probieren«, knurre ich, »vielleicht funktioniert es bei dir. Immerhin ist es deine Tür.«
    Sie nickt stumm, sie wischt sich die Tränen ab und geht durch die Tür.
    Ich setze mich auf die Kiste, auf der ich schon einmal gesessen, auf der ich schon einmal auf Daphne gewartet habe. Ich betrachte meine Schuhspitzen. Es gibt nichts auf der Welt, das ich so sehr verachte, das ich so abgrundtief hasse und verabscheue wie diese Schuhspitzen, diese oberätzenden, zutiefst verkackten Scheißdinger, mögen sie irgendwo in irgendetwas schmoren, verfaulen und verrecken!
    Daphne tritt aus der Tür, drückt sie sehr leise hinter sich in die Zarge. Sie lässt eine Hand noch auf dem Türblatt liegen, als lausche sie ein paar leise gesprochenen, wichtigen Worten nach. Sie wendet sich langsam, wie in Zeitlupe, zu mir um. Sie schüttelt mit großen, traurigen Augen langsam, langsam ihren Zeitlupe-Kopf. Es ist nicht auszuhalten. Ich falle auf meiner Kiste in mir zusammen. Wie ein Aschemännchen, das lange schon ausgebrannt und ausgeglüht ist, aber noch durch die Erinnerungen der versammelten Asche an die frühere Form aufrechterhalten wurde. Jetzt aber kommt ein Windstoß, ein Lufthauch oder Ahnliches, fährt in den fragilen Körper, und die ganze heillose Asche fällt zu einem nichtsnutzigen Häuflein zusammen.
    Ich sitze da, der Rest, der von mir übrig geblieben ist, zuckt, ein Beben der Stärke sechs auf der Richterskala. Daphne kommt und legt ihre Hände um meine Schultern, sie schmiegt sich an mich, und gemeinsam zucken wir im
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