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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy
Autoren: M Weins
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sagen, dass ich mich als geheilt ansehe. Ich halte Sie auf dem Laufenden, und ich lasse mich gerne wieder einmal bei Ihnen blicken, falls Bedarf auftreten sollte und Sie nichts dagegen einzuwenden haben.«
    Ich zögere. Ich sehe sie vor mir in ihren geschmacklosen Kleidern, Frau Merbold, Daniela.
    »Auf Wiedersehen.«
    Ich werde sonderbar sentimental, als ich die Worte in den automatischen Wind blase.
    Dann ziehe ich meine Schuhe an und den Mantel über. Ich nehme die Haustürschlüssel in die Hand. Ich öffne und schließe die Wohnungstür, ein gewöhnlicher Vorgang. Mit dem Bus fahre ich zum Krankenhaus hinüber.
    Wieder gehe ich den langen Flur hinab. Ich öffne die Tür zu Monikas Zimmer, die einzige Tür, die für mich noch von Bedeutung sein kann, die noch irgendwohin führt. Ich halte die Klinke in der Hand und blicke in den Raum. Ich lasse die Tür los, ich lasse sie offen stehen. Ich mache den Schritt, einen großen, wieder einmal und wie immer eigentlich den ersten.
     
    8
    Ich sehe mich im Raum um. Nichts hat sich verändert. Alles steht da, wie ich es verlassen habe, nur die Schwiegermutter fehlt. Ein Vorhang weht im Luftstrom, das Fenster steht auf Kipp, obwohl die Heizung auf Hochtouren läuft. Heizungsluft, die in den Lungen kratzt. Ich schlucke ein lautes Horrorfilmschlucken. Ich schaue das Bett an. Das Haar auf dem Kopfkissen. Dunkelblondes Haar. Kurze Haare. Kein langes, dunkles, wie Monika es besitzt. Ein bleiches Gesicht, ein fremdes.
    Jetzt schlägt die Person die Augen auf. Die Person erwacht. Schwere schlappe Lider öffnen sich in Zeitlupe. Ich blicke in blaugraue Augen hinein. Augen wie die Krallen von sehr großen Vögeln, die in der Wüste vor der sengenden Sonne über Verdurstenden kreisen. Sie krallen sich in mir fest, diese Augen. Mir wird schwindelig davon.
    Die Person sieht mich frontal an. Etwas gerät ins Wanken, das Zimmer eine schiefe Ebene, die mich auf das Bett zugleiten lässt. Ich treibe auf das Bett zu, auf diese Augen, es gibt kein Halten, die Bewegung beschleunigt sich. Die Augen, das Gesicht fangen zu lächeln an, ich stürze, ich stolpere in dieses Lächeln hinein, vornüber in dieses fremde Gesicht, in dieses fremde Wesen, und es fühlt sich endlich einmal etwas an wie zu Hause zu sein.
    Ich realisiere es im letzten Moment, bevor ich aus dem Trudeln vornüberkippe in diese Augen, in meine Augen, die ich jetzt erkenne, blaugrau und trübe, meine alten Augen, aus denen ich 35 Jahre lang in die Welt gespäht habe.
    Bin ich das?
    Wo ist Monika? Was hat man mit ihr gemacht? Und was macht man mit mir? In diesem Augenblick?
    Ich liege im Bett, nicht Monika.
    Ich liege da in diesem Bett.
    Durch den Schleier spähe ich in das Zimmer hinaus, das Krankenhauszimmer. Vor dem Bett steht Monika, sie sieht ganz erschrocken aus, bleich, erschrocken und zerbrechlich.
    »Heiner«, flüstert sie, »Heiner.«
    Sie setzt sich zu mir auf die Bettkante. Sie hält meine Hand.
    Dann schweigt sie mit nassen Augen, und sie lächelt.
    »Monika«, sage ich nach einer sehr langen Weile mit einer Stimme, die nicht mir gehört, einer Wüstenstimme, die zu lange im Staub gelegen hat, mit der die Geier gespielt haben. Ich habe eine Weile versucht, dieses Zauberwort zu sagen, aber es wollte nicht heraus aus mir. Irgendjemand hätte besser auf die Stimme aufpassen sollen, ich zum Beispiel.
    »Du bist aufgewacht«, sagt sie, »du bist endlich, endlich aufgewacht.«
    Und dann sagt sie nichts mehr, sondern kippt vornüber und macht mein Krankenhaushemd nass, sie weint und bebt und bibbert, und ich halte sie fest und bin erstaunlich glücklich, müde und glücklich halte ich mich an ihr fest und muss mich wundern und verstehe alles und gleichzeitig mal wieder gar nichts, wie eigentlich mein ganzes Leben lang bis jetzt, bis zu diesem Moment.
    Später erklärt sie mir, sie hat mich losgelassen, das heißt, sie hält meine Hand und sitzt wieder auf der Bettkante, dass ich einen Autounfall gehabt habe, ich hätte an einer Bushaltestelle auf den Bus gewartet und urplötzlich habe mich ein fremder Wagen von den Beinen geholt, mich ins Koma gestürzt, wochenlang hätte ich im Krankenhaus in diesem Bett in einem Zwischenraum verharrt, das Hirn geschädigt, eine Blutung, eine Trennung der Hälften, eine Läsion des Balkens. Sie habe bei mir gesessen und gewacht und mit mir gesprochen, mir alles erklärt, sie habe gebetet und gehofft und sie habe immer geglaubt, dass ich es schaffe, obwohl der Arzt gesagt habe, ich läge
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