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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy
Autoren: M Weins
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dass sich meine körperlichen Reaktionen selbstständig machen könnten, wenn Frau Merbold sich beispielsweise auf meinen Schoß setzt, und das wäre mir dann doch sehr unangenehm und erschiene mir in meiner Situation als Trauernder weniger angemessen.
    »Was machen denn Ihre Erfahrungen mit den Türen?«, fragt sie nach einer Weile, als ich zu weinen aufgehört habe. »Wie entwickelt sich diese Geschichte?«
    »Ach«, sage ich, »das ist besser geworden.«
    Tatsächlich, stelle ich fest, hat mich schon eine Weile keine Tür mehr gegen meinen Willen verschluckt und in irgendeiner Ungegend ausgespuckt. Ausnahmsweise einmal komme ich mir normal vor, traurig aber normal, solange ich ihr nichts von Beek erzähle und dass ich dort mit ihrer Doppelgängerin geschlafen habe.
    Als ich wieder auf der Straße stehe, rufe ich Mirko an.
    »Bist du in der Stadt?«
    »Hey, ja«, sagt er mit einer seltsam saftigen Stimme, als äße er gerade ein besonders weiches Stück Obst. »Willst du heute Abend mit mir laufen?«
    »Nee«, sage ich, »ich will saufen, jetzt gleich.« Obwohl es früher Nachmittag ist.
    Eine halbe Stunde später treffen wir uns im Saal II , früher war das unsere Lieblingskneipe. Mirko sitzt schon am Tresen, als ich hereinkomme. Er wird wirklich von Begegnung zu Begegnung breiter, stattlicher. Mirko ist so breit wie die Beeker Wand. Ich besetze schmal und fast feminin den Hocker neben ihm und bestelle ein sehr großes Bier. Mirko hat einen Gin Tonic vor sich stehen, die Tageszeit stört ihn nicht.
    »Wie geht’s?«, frage ich.
    »Bestens«, sagt er. Er erzählt etwas von Kite-Surfen und Stand-up-Paddeln und Aufnahmen mit einer norwegischen Kinderflötengruppe in Oslo für ein Pop-Projekt. »Und du?«, fragt er.
    Ich sage: »Monika.«
    Ich sage: »Es kann gut sein, dass ich für eine ganze Weile verreisen werde, vielleicht komme ich auch gar nicht mehr zurück, das kann ich im Augenblick unmöglich sagen. Also wundere dich bitte nicht, falls wir uns heute zum letzten Mal für lange, lange Zeit sehen oder für immer gesehen haben sollten.«
    Dann bestellen wir Alkohol, und für lange, lange Zeit hören wir nicht mehr damit auf. Wir bestellen Alkohol, fremde Menschen kommen und gehen, nehmen neben uns Platz, führen ihre Gespräche, trinken, lachen, hören der Musik zu. Wir bestellen und flößen uns voller Hingabe und Liebe die unterschiedlichsten Flüssigkeiten ein. Wir sprechen nicht, hin und wieder lächeln wir uns verschwörerisch zu, und nur wir beide wissen genau, was dieses Lächeln zu bedeuten hat, nur wir zwei hübschen beiden kennen den Code.
    Irgendwann stützt Mirko mich aus dem Saal II hinaus. Schwankend stehen wir am Rand der Straße, die Schulterblatt heißt, weil sich hier vor sehr langer Zeit einmal eine Kneipe befunden haben soll, deren Wirt das Schulterblatt eines Pottwals als Kneipenschild über seine Tür hängte. Weil die Stadt, in der wir leben und geboren wurden, die uns säugte und aufzog, Mirko und mich, und in der wir eines Tages sicherlich sterben werden, einmal eine Stadt mit einer eigenen Walfangflotte gewesen ist. Wir blicken unscharf auf das schimmernde Kopfsteinpflaster.
    »Wo gehst du jetzt hin?«, fragt Mirko.
    »Bahnhof«, sage ich.
    »Das schaffst du nie«, sagt er. »Niemals. Nie im Leben.«
    »Aber hallo«, sage ich. Und dann lasse ich ihn los, flattere nach links, flattere nach rechts, überall unangenehm viel dunkler Raum um mich herum. Ich stabilisiere mich ein wenig, finde eine Mitte, und schließlich schwanke ich hinfort, ohne ihm Tschüss gesagt zu haben.
     
    3
    Im Zug nüchtere ich etwas aus, was vor allem daran liegt, dass ich schlafe. Einmal rüttelt die nette junge Blondine im Business-Hosenanzug, die im Großraumwagen neben mir sitzt, so lange an meiner Schulter, bis ich aufwache. Ich stelle sehr umständlich den Blick scharf, es dauert, bis ich sie in den Fokus bekomme. Sie ist sehr hübsch, voluminöse Dreiwettertaftlocken. Sie sagt: »Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie wecke, aber Sie schnarchen wirklich unangenehm laut.«
    Ich schaue in die Runde, der halbe morgendliche ICE starrt mich an.
    »Entschuldigung«, sage ich und wende mich wieder ab, dem Fenster zu, wo lange, lichte Sonnenfinger einen schwarzen Bergrücken hinabwandern und leuchtend gelbe Bäume pflücken. Auch, um sie vor meinem Mundgeruch zu schützen, der entsetzlich sein muss, wie mir der Geschmack in meinem Mund verrät.
    Etwas wackelig stehe ich vor Daphnes Haustür. Ich nehme an, ich sehe
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