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Lauter reizende alte Damen

Lauter reizende alte Damen

Titel: Lauter reizende alte Damen
Autoren: Agatha Christie
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Ich wette, das hat genauso gut geholfen. Wenn man die Wahl hatte, gesund zu werden oder Schwefel und Melasse trinken zu müssen, dann wurde man lieber gesund.« Sie nickte zufrieden. »Ärzten kann man eben nicht über den Weg trauen. Jedenfalls nicht, wenn es um neue Mittel geht… Hier soll es sehr viele Vergiftungen geben, habe ich gehört. Sie brauchen Herzen für die Chirurgen, heißt es. Ich glaube ja nicht, dass das wahr ist. Miss Packard würde das bestimmt nicht zulassen…«
     
    Im Parterre deutete Miss Packard auf ein Zimmer und sagte entschuldigend: »Das alles tut mir sehr Leid, Mrs Beresford, aber Sie wissen ja sicher, wie es mit alten Menschen ist. Sie haben Vorlieben und Abneigungen, von denen man sie nicht abbringen kann…«
    »Ich kann mir vorstellen, wie schwer es ist, so ein Heim zu leiten«, sagte Tuppence.
    »Ach, es geht schon. Mir macht es sogar Freude. Wissen Sie, ich habe meine alten Damen alle sehr gern. Wenn man sich immer um sie kümmert, wachsen sie einem ans Herz. Ich meine, sie haben ihre kleinen Eigenheiten, aber wenn man sie genau kennt, ist es gar nicht so schwer, mit ihnen auszukommen.«
    Tuppence dachte, dass Miss Packard für ihren Beruf geboren sein musste.
    »Eigentlich sind sie wie Kinder«, fuhr Miss Packard fort. »Nur sind Kinder viel logischer und darum schwieriger. Die alten Leute sind unlogisch. Sie wollen, dass man ihnen das sagt, was sie selbst gern glauben möchten. Und wenn man das tut, sind sie ganz zufrieden. Und ich habe Glück mit meinen Schwestern. Sie sind geduldig, gutmütig und nicht zu klug. Wenn die Schwestern zu klug sind, werden sie leicht ungeduldig. – Ja, Miss Donovan, was gibt es?« Sie wandte sich einer jungen Frau zu, die die Treppe heruntergerannt kam.
    »Schon wieder Mrs Lockett, Miss Packard. Sie behauptet, im Sterben zu liegen; und verlangt einen Arzt.«
    »Ach«, sagte Miss Packard unbeeindruckt, »und woran stirbt sie diesmal?«
    »Sie meint, gestern seien Giftpilze im Ragout gewesen.«
    »Das ist neu«, sagte Miss Packard. »Da muss ich wohl doch mit ihr reden. Entschuldigen Sie, Mrs Beresford. Im Zimmer liegen Zeitungen und Zeitschriften.«
    »Oh, machen Sie sich um mich keine Sorgen.«
    Tuppence betrat das Zimmer, das ihr gezeigt worden war. Es war ein heller Raum, dessen Terrassentüren in den Garten führten.
    Im Augenblick saß hier nur eine weißhaarige, alte Dame. Sie trug die Haare zurückgekämmt und hielt ein Glas Milch in der Hand. Sie hatte ein zartes Gesicht und lächelte Tuppence freundlich an. »Guten Morgen«, sagte sie. »Werden Sie hier wohnen, oder kommen Sie nur zu Besuch?«
    »Ich bin zu Besuch hier«, erklärte Tuppence. »Bei einer Tante. Mein Mann ist gerade bei ihr. Wir wollten uns abwechseln, damit es sie nicht so anstrengt.«
    »Wie rücksichtsvoll von Ihnen.« Die alte Dame trank prüfend einen Schluck Milch. »Ob sie… nein, ich glaube, sie ist gut. Möchten Sie etwas trinken? Tee oder Kaffee? Ich will für Sie klingeln. Die Leute hier sind sehr entgegenkommend.«
    »Oh, danke«, sagte Tuppence. »Ich möchte wirklich nichts.«
    »Oder ein Glas Milch? Sie ist heute nicht vergiftet.«
    »Nein, wirklich nicht. Wir bleiben nicht mehr lange.«
    »Nun, wenn Sie nicht mögen – aber es macht gar keine Mühe. Hier kann man alles bekommen, es sei denn, man verlangt etwas ganz Unmögliches.«
    »Ich fürchte, dass unsere Tante gelegentlich doch ein bisschen viel verlangt«, gestand Tuppence. »Es ist Miss Fanshawe.«
    »Ach, Miss Fanshawe«, sagte die alte Dame. »Ach so.«
    Sie schien nichts weiter bemerken zu wollen, aber Tuppence fuhr freimütig fort: »Ich glaube, sie ist ein ziemlicher Drachen. Sie war schon immer ein Drachen.«
    »Ja, das mag stimmen. Ich hatte auch eine Tante, die ihr sehr ähnlich war, vor allem, als sie älter wurde. Aber wir hier haben Miss Fanshawe sehr gern. Wenn sie will, kann sie ungewöhnlich amüsant sein. Wie sie zum Beispiel über Menschen spricht!«
    »Ja, da haben Sie Recht«, gab Tuppence zu. Sie betrachtete Tante Ada einen Augenblick in diesem neuen Licht.
    »Bissig«, sagte die alte Dame. »Übrigens heiße ich Lancaster, Mrs Lancaster.«
    »Ich bin Mrs Beresford.«
    »Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ein bisschen Boshaftigkeit kann manchmal sehr reizvoll sein. Und wie sie die anderen Gäste beschreibt! Und was sie über sie sagt! Ich weiß, man sollte nicht darüber lachen, aber man tut es eben doch.«
    »Leben Sie schon lange hier?«
    »Oh, schon eine ganze Weile. Ja,
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