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Lauter reizende alte Damen

Lauter reizende alte Damen

Titel: Lauter reizende alte Damen
Autoren: Agatha Christie
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die Treppe hinunterfallen könnten, wenn sie allein im Haus sind, weil sie an chronischer Bronchitis leiden, weil sie mit den Nachbarn Streit anfangen oder die Geschäftsleute beleidigen.
    Tuppence Beresfords eigene Tante – Großtante Primrose – war eine solche Kämpfernatur gewesen. Nichts passte ihr. Kaum war sie in ein Heim eingezogen, das älteren Damen einen angenehmen und komfortablen Aufenthalt versprach, und hatte der Nichte einige lobende Briefe über diese Institution geschrieben, kam schon die Nachricht, dass sie Knall und Fall abgereist sei. »Unmöglich! Nicht eine Minute länger hätte ich es ausgehalten!«
    Innerhalb eines Jahres hatte Tante Primrose elf Heime bezogen und wieder verlassen; dann schrieb sie, dass sie einen reizenden jungen Mann kennen gelernt hätte. »Er ist wirklich ein sehr anhänglicher Junge. Er hat schon als Kind die Mutter verloren und braucht jemand, der sich um ihn kümmert. Ich habe eine Wohnung gemietet. Er wird zu mir ziehen. Das ist für uns beide die ideale Lösung. Es ist eine echte Wahlverwandtschaft. Liebe Prudence, du brauchst dir um mich keine Sorgen mehr zu machen. Morgen gehe ich zu meinem Anwalt, da ich ja für Mervyn Vorsorge treffen muss, falls ich, womit natürlich normalerweise zu rechnen ist, vor ihm das Zeitliche segne. Allerdings muss ich dir sagen, dass ich mich noch nie so wohl gefühlt habe.«
    Tuppence war damals sofort nach Aberdeen gereist. Aber die Polizei war ihr bereits zuvorgekommen und hatte den prachtvollen Mervyn entfernt, der schon lange gesucht wurde, weil er sich unter falschen Vorwänden Geld erschwindelt hatte. Tante Primrose war wütend und redete von Polizeistaat. Als sie aber zur Gerichtsverhandlung musste – wo fünfundzwanzig ältere Freundinnen von Mervyn auftraten –, änderte sie notgedrungen ihre Meinung über ihren Schützling.
    »Ich glaube, Tuppence, ich sollte Tante Ada besuchen«, sagte Tommy. »Ich war lange nicht bei ihr.«
    »Ja«, sagte Tuppence nicht sehr begeistert. »Wie lange ist es her?«
    Tommy überlegte. »Fast ein Jahr.«
    »Länger. Ich glaube, es war vor über einem Jahr.«
    »Mein Gott!« Tommy seufzte. »Die Zeit vergeht zu schnell. Schrecklich, wie man alles vergisst. Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen.«
    »Das brauchst du nicht«, sagte Tuppence. »Wir schicken ihr Päckchen und schreiben Briefe.«
    »Ja, schon. Du bist immer so zuverlässig, Tuppence, aber trotzdem: Manchmal liest man Schreckliches über solche Heime.«
    »Ach, du denkst an das scheußliche Buch aus der Bibliothek, in dem die armen alten Frauen so gelitten haben.«
    »Es soll sich um einen tatsächlichen Vorfall handeln.«
    »Ja. Vielleicht gibt es wirklich solche Häuser. Und es gibt immer Menschen, die unglücklich sind, weil sie gar nicht anders können. Aber was sollten wir denn sonst tun, Tommy?«
    »Nichts. Man kann nur so vorsichtig wie möglich sein. Man muss sich das Haus genau ansehen, sich genau erkundigen und dafür sorgen, dass ein guter Arzt da ist.«
    »Aber einen besseren Arzt als Dr. Murray kann sie gar nicht haben.«
    »Ja.« Tommys besorgtes Gesicht hellte sich wieder auf. »Murray ist wirklich ausgezeichnet. Er ist freundlich und geduldig. Und wenn etwas wäre, hätte er uns sofort benachrichtigt.«
    »Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen«, sagte Tuppence. »Wie alt ist sie jetzt eigentlich?«
    »Zweiundachtzig, nein, dreiundachtzig. Es muss doch schrecklich sein, wenn man alle anderen überlebt.«
    »Deine Tante Ada findet das nicht schrecklich. Weißt du nicht mehr, mit welchem Genuss sie alle Freunde aufgezählt hat, die schon gestorben sind? Am Ende sagte sie: ›Und Amy Morgan soll höchstens noch ein halbes Jahr haben. Dabei hat sie immer gesagt, ich sei so zart. Und jetzt ist es beinahe sicher, dass ich sie überleben werde.‹ Triumphiert hat sie!«
    »Na ja…«
    »Ich weiß«, sagte Tuppence. »Du hast das Gefühl, dass es deine Pflicht ist. Deshalb solltest du auch zu ihr fahren. Und ich komme mit.« Ihre Stimme bekam einen heroischen Tonfall.
    »Nein«, wehrte Tommy ab. »Warum solltest du das? Sie ist nicht deine Tante. Nein, ich fahre allein.«
    »Und ich komme doch mit. Ich leide mit dir. Lass uns zusammen leiden. Dir macht es keinen Spaß; mir macht es keinen Spaß; und ich glaube nicht einen Augenblick, dass es Tante Ada Spaß machen wird. Aber was sein muss, muss sein.«
    »Erinnere dich doch nur, wie ekelhaft sie beim letzten Mal zu dir war.«
    »Ach, das hat mir nichts
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