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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis
Autoren: Henning Boetius
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Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Operationstisch, wie Lautréamont sagt.
    Von der Einheit von Lust und Leid, wie Petrarca sie fast religiös zelebriert, ist es kein allzu weiter Weg bis zur Camus'schen Absurdität. Es gibt nichts ganz und gar Eindeutiges mehr. Synästhesien werden entdeckt, fließende Übergänge zwischen Farben, Gerüchen und Geräuschen. Auch hier ist Petrarca in seiner Liebesmetaphorik ein Protagonist. Durch solche zwielichtigen Uneindeutigkeiten erkauft sich offenbar der moderne Mensch die halbe Freiheit, die ihm aus seiner Ichbezogenheit gegenüber Natur, Staat und Religion erwächst. Es ist der Schritt aus der Kindheit in die Pubertät, der damals in der Frührenaissance gewagt wird. Schwermut und Leichtigkeit gehen von nun an eine globale Partnerschaft ein. Dantes Beatrice war noch die Führerin durch die Stadien auf dem Lebensweg. Laura hingegen ist Verführerin. Verführerin zur Illusion, zur eingebildeten Liebe. Prousts Odette aus ‘Eine Liebe von Swann’ ist hier vorgeprägt: Man liebt eine Frau am besten aus der Perspektive der getarnten Seele, so wie man das Wild am besten vom Hochstand aus belauert.
    Seit Petrarca ist Schluß mit der ungemütlichen Gemütlichkeit der eindeutigen Strukturen. Nun wird die Angelegenheit des Lebens verteufelt offen. Schizophrenie ist die typische Strafe für den Verlust der fatalen Eindeutigkeit eines Zwangssystems. Acedia, nur unvollkommen mit Weltschmerz oder Ennui zu übersetzen, ist die Krankheit der Orientierungslosigkeit. Insofern hängt sie mit Schizophrenie zusammen. Schwermut, Larmoyanz, Weltschmerz, Lebensüberdruß, Acedia sind die Seelenzustände eines auf Wanderschaft befindlichen Ichs, das sich als einsam erfährt und zugleich, weil es sich eben bewegt, und das ohne Ziel, sehr viel erlebt und daher anders und eigentlich schöner einsam ist als der Eingesperrte. Auch der Wanderer der Winterreise von Schubert/Müller hat die Acedia, auch er spricht in petrarkischen Oxymora: »Es brennt mir unter beiden Sohlen / Tret' ich auch schon auf Eis und Schnee.«
    Von 1337 bis 1353 lebt Petrarca mit einigen Unterbrechungen in Vaucluse. Hier entstehen die meisten Laura-Gedichte. Er beginnt diesen großen Zyklus der »Canzoniere« im Geburtsjahr seiner Tochter Francesca im Jahre 1343. Die Mutter, vermutlich eine ‘einfache Frau aus dem Volk’, bleibt genauso im dunkeln, wie Laura im hellen Licht seiner Verse erscheint. Auch dies ist eine kleine Nebenpointe. Es ist das vielleicht erste literarische Großprojekt, in dem eine private Lebenserfahrung, sei sie nun fingiert oder real erlebt, zu einem Sprachkosmos ausgestaltet wird. Die Topoi, die Stereotypen, die sich in den vielen Beschreibungen der körperlichen und geistigen Schönheit der Geliebten und des eigenen Liebesleids (auch ein Oxymoron!) finden, sind die Pfeiler und Verstrebungen dieses literarischen Gebäudes. Ein Werk wie Prousts »Suche nach der verlorenen Zeit« gehorcht letztlich ähnlichen Konstruktionsprinzipien. Eingebildete und erlebte Erfahrung, Dichtung und Wahrheit verschmelzen so, daß sie ein neues Metall ergeben, ein Amalgam, das nicht mehr scheidbar ist.
    Laura stirbt angeblich am gleichen Tag, dem 6. April, an dem sie sich kennenlernten. Es ist das Jahr der schwarzen Pest: 1348. Petrarca ist rechtzeitig vor ihr geflohen. In seinem Gefühlsleben bildet Lauras Tod keine Zäsur. Er hat sie längst in seiner Sprache entmaterialisiert. Aber zur Unterteilung seines Zyklus von 366 Gedichten in »Laura, lebend«–»Laura, tot«, reicht es immerhin, auch wenn wohl nicht ganz sicher ist, ob Petrarca die in der Handschrift zwischen diesen beiden Teilen klaffende Lücke nicht auch noch schließen wollte. Dies wäre nur konsequent. Laura kann gar nicht mehr sterben, da sie in seiner Sprache lebt.
    Petrarca hat scheinbar seine lateinische Dichtung dem »Canzoniere« weit vorgezogen. Er äußert sich verächtlich über seine italienischen Gesänge, die er als Jugendtorheiten, als »Kleinigkeiten«, apostrophiert. Allein die Tatsache, daß er bis zum Schluß an ihnen gearbeitet hat, beweist, daß auch dies zur Fiktion, zur Literarisierung des Projektes gehört. Die Größe des gesungenen Schmerzes zeigt die Figur des »Urhebers« mitsamt ihrem Urteil im verringerten Maßstab, weit weg am Horizont seines privaten Lebens. Vermutlich wußte Petrarca, daß seine »Canzoniere« erst später in ihrer Bedeutung erkennbar sein würden, und daher fiel ihm die Attitüde der Bescheidenheit
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