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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis
Autoren: Henning Boetius
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gelüfteten Zimmers.
    Er ging in Richtung Australien. Irgendwann kam er über den Platz mit Hermes und Aphrodite. Er ruhte sich ein wenig auf der Bank aus. Dann setzte er seine Reise fort. Die Häuserfassaden glichen sich. Bald wußte er nicht mehr, wo er war.
    Schließlich fand er, was er suchte. Eines dieser belanglosen, grauen Häuser hatte ein Hotel-Schild. »Zur Sonne«, stand darauf. Er betrat die Rezeption und mietete ein Zimmer. Es entsprach vollkommen seinem Bedürfnis nach Trostlosigkeit. Ein Raum völlig ohne Atmosphäre. Er hatte nicht einmal die Exotik des Verfalls wie jenes Hotelzimmer in Wien.
    Er war nicht weit gekommen, vielleicht nur tausend Meter. Aber er hatte das Gefühl, daß seine Wohnung, das Museum, Laura, die Gentildonna zu den Antipoden gehörten am anderen Ende der Welt. Er sah sie jetzt so, wie man sie aus diesem Blickwinkel sehen würde: sehr klein und auf den Kopf gestellt.
    Er ruhte sich ein wenig aus. Dann begann er zu arbeiten. Er schaltete die Deckenlampe an. Sie gab ein ziemlich trübes Licht. Er befeuchtete einen Bogen Aquarellpapier und ließ ihn trocknen. Dies wiederholte er dreimal, eine Prozedur, die die Saugkraft der Papierfasern erhöht und die Farben leuchtkräftiger werden läßt.
    Er begann zu malen. Ein Fenster entstand. Ein Fenster nach Süden. Er arbeitete schnell, so, wie es Aquarelle verlangen. Als er fertig war, wußte er, daß ihm sein erstes wirkliches Bild gelungen war. Man glaubte, die Luft zu riechen, die durch das geöffnete Fenster drang. Er schloß die Augen und spürte, wie er lächelte. Das Bild lag vor ihm auf dem Tisch. Er beugte sich mit immer noch geschlossenen Augen darüber und atmete tief durch.

Nachwort

DER ERSTE MODERNE MENSCH

    Zäsuren, qualitative Sprünge in der Entwicklung der Menschheit und in ihrem geistigen und kulturellen Selbstverständnis dingfest zu machen ist schwierig. Allzu fließend sind zumeist die Übergänge und Veränderungen, so daß die Bestimmung von Epochen etwas Künstliches an sich hat. Eine der seltenen, relativ deutlichen Zäsuren eines Epochenbeginns wird mit dem Stichwort ‘Renaissance’ bezeichnet.
    Prägend für die literarische Seite der neuen Epoche ist ein Triumvirat von Poeten, deren Namen bis heute Allgemeinbildungsgut sind und deren Schreibart zumindest in einem Fall bis heute nachwirkt. Drei Männer, die stilbildend für drei Gattungen wurden: Dante für das Epos, Petrarca für die Lyrik, Boccaccio für die Novelle bzw. Erzählung. Ihre Lebensdaten umreißen die Phase der Frührenaissance: Dante 1265 bis 1321, Petrarca 1302–1374, Boccaccio 1313–1375. Alle drei sind florentinischer Herkunft. Hier in der Toskana beginnt jene Wiedergeburt des Menschen, die man besser als Neugeburt bezeichnen könnte.
    Man hat Petrarca den ersten modernen Menschen genannt. Um den Wahrheitskern dieser griffigen Übertreibung freizulegen, muß man zunächst einen Blick auf die ideologischen und sozialen Verhältnisse der Zeit werfen, in die jenes Triumvirat hineingeboren wird. Es ist Spätmittelalter. In der Politik dominiert der Kampf zwischen weltlicher und geistlicher Macht um die Vorherrschaft. Die Päpste von Rom maßen sich an, Könige und Kaiser zu ihren Vasallen zu machen. Dies entspricht ganz den Verhältnissen in der Philosophie. Der Glauben dominiert das Wissen. Die Philosophie ist der Vasall der Theologie. Die an allen Universitäten alleinherrschende Scholastik hat nichts anderes zu tun, als die aus der Antike übernommenen Ideen den Dogmen anzupassen. Hierzu entwickelt sie ein Argumentationsrepertoire höchster Spitzfindigkeit. Deutlich wird dies im sogenannten Universalienstreit, bei dem es um die Rolle der allgemeinen Wahrheiten geht. Sie sind nach der offiziellen Lehrmeinung die eigentliche Realität. Das wirkliche Leben ist nur das Abgeleitete. Es ist von minderem Realitätsgrad. Auch das Individuum, der einzelne, hat weniger Realität als das Allgemeine, die Kirche, die Gesellschaft.
    Immer wieder gab es leisen Protest gegen solche Tyrannei des Allgemeinen, in der Stoa zum Beispiel. Jedoch erst im vierzehnten Jahrhundert, eben zur Zeit der Frührenaissance, entwickelt sich eine andere Auffassung der Universalien, die die Position der Scholastik aufzubrechen beginnt, schließlich zu ihrem Untergang führt und dadurch zur Emanzipation des Subjekts beiträgt. Die allgemeinen Wahrheiten, z.B. der Begriff des Menschen, sind nichts anderes als Wörter, als Nomen, als Projektionen der Individualität, die sie
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