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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis
Autoren: Henning Boetius
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daß er deshalb sein Leben ändern mußte. Was sollte er bei Bazin und Madame Régusse? Er würde dort immer ein Fremder bleiben, so schön es war in diesem kargen Zimmer und in der Glasveranda der Bar Tabac, so gerne er sich auch dort über die Liebe und Petrarca unterhielt. Und Laura? Sie schien zu den Menschen zu gehören, die sich ewig zwischen Entscheidungen in der Schwebe halten müssen wie ein Vogel, der zum Fliegen zwei Flügel braucht. Es war wohl blanker Unsinn, sich eine bürgerliche Zukunft mit ihr auszumalen. Es würde in einer Katastrophe enden. Sie würden sich erfolgreich belauern, weil sie sich so ähnlich waren. Oder waren sie in Wirklichkeit zu verschieden? Francesco erwog zum erstenmal den Gedanken ernsthaft, daß Lauras Unentschlossenheit weniger mit ihrer inneren Person zu tun hatte als mit dem Verhalten der Männer ihr gegenüber. War sie Opfer oder Täter oder beides zugleich? Hinderte sie die Liebe, oder hinderte die Liebe sie? Vielleicht war Laura normaler, als er gedacht hatte. Vielleicht spaltete sie nur die Art, wie Männer sie sahen.
    Francesco überlegte auch, ob es Sinn hatte, zu seiner Frau zurückzukehren. Doch verwarf er diesen Gedanken schnell. Selbst wenn seine Frau ihn wieder aufnehmen würde, wäre es ein Fehler. Das Pendel, das einmal vor langer Zeit in ihm angestoßen worden war, würde nie zur Ruhe kommen.
    Was also dann? Sollte er vielleicht nach Tasmanien gehen? Zu den tasmanischen Teufeln? Dort ein neues Leben beginnen? Vielleicht als Zeichenlehrer an einer Schule? Er war sich im klaren, daß er in Gefahr war aufzuwachen. All die Sensationen der Gefühle, all die schönen Augenblicke der letzten Monate standen auf dem Spiel, wenn er jetzt einen Fehler machte.
    Vielleicht sollte er ernsthaft anfangen zu malen, und zwar nicht im Licht der Provence, sondern dem eines Ateliers in seiner Heimatstadt. Um malen zu können, mußte er endlich lernen, richtig zu sehen. Es war keine Frage des Lichtes, auch keine der Farben und der Leinwand. Das Auge war es. Es mußte begreifen lernen. Nicht immer nur sehen, was es sehen wollte.
    Hatte er sich nicht zuerst in Lauras Bildnis und dann in die lebendige Laura verliebt? Francesco sah darin plötzlich einen Wink des Schicksals. Der Maler von Petrarcas Laura hatte sehen können, wie sie wirklich war.
    Er zahlte und ging zum Bahnhof zurück.
    Am Abend des nächsten Tages war er wieder in seinem Zimmer. Er stellte fest, daß er vergessen hatte, das Fenster zu schließen vor seiner Flucht. Es war angenehm kühl und roch nicht mehr nach Altersheim. Er schlief erstaunlich gut.
    Am nächsten Morgen ging er in die Werkstatt und firnißte das stumpf gewordene Bild. Dann rief er den Direktor an und bat ihn zu sich. »Phantastisch. Es sieht wie vorher aus«, sagte der Chef. »Wo waren Sie übrigens so lange? Das Bild war auch nicht da!«»Ich habe es mitgenommen und einem Experten gezeigt. Er glaubt, daß es eine Darstellung der Donna Laura Petrarcas ist.«»Was für ein Experte?« Francesco schwieg. Er wollte Bazins Namen und Adresse auf keinen Fall preisgeben. »Sie geben mir Rätsel auf. Wie ist es also, würden Sie bei uns weiterarbeiten? Auf Probe natürlich zunächst, und zu einem etwas geringeren Salär.«
    »Nein. Ich habe hier aufgehört.«
    Francesco ging grußlos und mit einem Lächeln, das er selbst nicht verstand. Er ging zu Laura hinüber. Sie saß am Tisch und sah ihn aus ihren grauen Augen an. »Ich weiß, du kannst nicht mehr«, sagte sie. »Ich habe alles verdorben.«»Du hast nichts verdorben, Laura«, sagte Francesco. Er strich ihr übers Haar. Zum erstenmal spürte er sie dabei nicht. Auch sie verließ er ohne Gruß.
    Er ging noch einmal in seine Wohnung zurück und packte. Diesmal für immer, wie er sich einzureden versuchte. Neben ein paar Kleidungsstücken und Waschutensilien tat er die Muschelpalette, Pinsel, Tuben, Malmittel, Reisestaffelei, Tuschkasten, Aquarellpinsel, einen Naturschwamm, mehrere kleine Leinwände und einen Block Aquarellpapier, Bleistifte und einen Radiergummi in den Koffer.
    Er lehnte sich noch einmal aus dem Fenster. Er kam sich vor wie ein Kapitän, der von der Schiffsbrücke aus die Fahrtroute nach Untiefen absucht. Es war einer der typischen wetterlosen Tage dieser Stadt. Der Himmel weder bewölkt noch klar. Es war auch weder warm noch kalt. Es war ein einziges trostloses Einerlei, schattenlos, ohne stärkere Luftbewegungen, Es gab eine Außenwelt, aber das Draußen hatte viel von der Atmosphäre eines
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