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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis
Autoren: Henning Boetius
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bei mir. Du warst immer in mir, auch wenn ich nicht wußte, wo du in Wirklichkeit warst.«
    »Wieso wohnst du wieder hier?«
    »Sie haben keinen neuen Stipendiaten. Knoop hat es für mich durchgesetzt. Ich zahle Miete, und ich bekomme wahrscheinlich einen Lehrauftrag für Zeichnen. Du siehst, es nimmt alles Formen an.«
    Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn in ihre Wohnung. Dort war es dunkel und kühl wie immer. Ewiger Winter war hier, und es roch, wie es ihm vertraut war, nach verbranntem Holz und nach Asche. Sie legten sich aufs Bett und streichelten sich, neugierig und behutsam wie frisch Verliebte.
    »Gehst du nach Australien zurück?« fragte er. »Frühestens in drei Monaten. Wir haben viel Zeit.«»Drei Monate sind drei Sekunden«, sagte er und nahm drei ihrer Finger und knickte sie in den Gelenken ab. Dann bog er sie wieder gerade. »Und Phil. Was ist mit ihm?«»Ich weiß es nicht. Wir telefonieren kaum mehr miteinander. Ich hab' ihn lieb. Aber nicht so wie dich. Ich glaube, es wird alles gut.«
    Sie bohrte einen ihrer Finger in sein Ohr. Dann legte sie sich halb auf ihn und begann, sein Hemd aufzuknöpfen.
    Er schob sie zur Seite und stand auf. »Laura«, sagte er leise, ohne verhindern zu können, daß es wie ein Stöhnen klang. »Es hat keinen Zweck mehr. Wir müssen Schluß machen. Ich ertrage dieses ewige Hin und Her nicht mehr.«
    Sie lag auf dem Rücken und starrte zur Decke. Tränen rollten über ihre Wangen. Er ging mit kleinen, abgemessenen Bewegungen die Wendeltreppe hinab. Sein Stolz war längst windelweich geworden. Ihm war übel.
    Als er in seinem Zimmer angekommen war, setzte er sich ans Fenster und blickte in die Wolken, aus denen es gerade zu regnen begann. »Tränen fließen gar so süß, erleichtern mir das Herz«, sagte er laut, als wünschte er, daß Laura es höre.
    Das Telefon klingelte. »Kannst du kommen« flehte sie mit einer Stimme, die äußerste Not verriet. »Mir geht es so schlecht. Ich brauch' dich. Halt mich fest. Ich muß dir etwas sagen.«»Bis gleich«, sagte er mit einer Stimme, die ihm fremd vorkam.
    Dann ging er ein paar Schritte im Zimmer auf und ab. Hätte er sich sehen können, hätte er sich bestimmt gewundert, wie traurig und hoffnungslos ein Mensch zu lächeln vermag.
    Die Tür war angelehnt. Der Ofen brannte, obwohl es ein warmer Frühsommertag war. Auch die Kerzen brannten. Es war, als sei die Zeit in diesem ewigen Winter stehengeblieben.
    Wieder war es so, daß Laura ihn bei der Hand nahm und wie ein Spielzeug hinter sich her zog, die Wendeltreppe empor.
    Sie zogen sich wortlos aus und schliefen miteinander. Es kam ihm vor, als ob er sich noch nie so aufgelöst hätte. Alles war weich und nahm die gleiche Farbe an, ein rötliches Braun wie Walnußbeize.
    »Ich habe vor, mehr zu malen«, sagte Laura. »Ich glaube, ich sehe inzwischen ganz anders. Vielleicht können wir heute nachmittag am Fluß spazierengehen?«
    Er nickte, zog sich an und ging hinüber in seine Werkstatt. Niemand achtete auf ihn. Auch der Pförtner nicht. Hatte er sich so verändert?
    In seiner Werkstatt herrschte peinliche Ordnung. Nur die Muschelpalette stand an einer falschen Stelle. Auf seinem Schreibtisch lag ein großes weißes Kuvert. Er öffnete es und las das Kündigungsschreiben. Es erinnerte ihn an ein Sonett von Petrarca, voller Widersprüche und Oxymora. Er sei ein außergewöhnlich fähiger Restaurator, schrieb der Direktor, jedoch für das Museum nicht tragbar. Er sei zu sehr Künstler, um sich einem geregelten Arbeitsleben unterordnen zu können. Im Grunde sei dies ein Vorzug, nicht jedoch für die Institution. In drei Monaten sei deshalb sein Arbeitsverhältnis offiziell beendet. Inoffiziell habe er sich ja bereits von seinem Arbeitsplatz entfernt.
    Plötzlich stand Labisch neben ihm. Wie Pluto der Höllenhund, der unterirdische Zeus, war er mit Hilfe seiner Tarnkappe, die ihm die Zyklopen gearbeitet haben, unbemerkt hereingekommen. In der Tat erfüllte ein so vertrautes Gesicht sehr gut die Funktion eines Werkzeugs der Unsichtbarkeit. Labisch war der Herrscher über diesen Tartarus. Er war konsequent. Von der Außenwelt ließ er nur die Straßenecken gelten. Pluto, der sich durch keine Bitten erweichen läßt, wenn man von Orpheus absieht, dem es bekanntlich gelang, den Herrscher der Unterwelt durch seinen betörenden Gesang zur Herausgabe von Eurydike zu bewegen. Sollte er Labisch vielleicht das Schubertlied vorsingen? Tränen fließen gar so süß? Auch jene
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