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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis
Autoren: Henning Boetius
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kurzem Zögern bewilligte. Er ließ sie auf seine Kosten von einem der größten Maler porträtieren. Die Sitzungen fanden heimlich statt. Petrarca hatte nun wenigstens ein optisches Äquivalent von Lauras Schönheit. Bedauerlicherweise ist das Bild verschollen.
    Wissen Sie, wie es weiterging? Einundzwanzig Jahre währte ihre Liebe bereits, als Donna Laura an der Pest verstarb. Schon vorher war ihre äußere Schönheit verwelkt. Ihr bekam die platonische Leidenschaft nicht so gut wie ihrem Geliebten.«
    Monsieur Bazin seufzte schwer und machte ein bekümmertes Gesicht. Sie fuhren auf Serpentinen immer höher. Wetter und Landschaft hatten sich völlig verändert. Es gab Wald rechts und links der Straße. Mächtige schwarze Tannen, durch die der Wind Nebelschwaden trieb. Wolken verdunkelten die Sonne. Die Sicht wurde immer schlechter.
    »Sie sehen, Francesco, ich habe nicht zuviel versprochen, als ich sagte, wir fahren durch die Jahreszeiten. Jetzt sind wir im Spätherbst.«
    Bazin hielt. Sie stiegen aus und gingen ein paar Schritte in den Wald hinein. Die Bäume bogen sich unter den Windstößen. Der ganze Wald rauschte wie ein Wasserfall.
    »Kein Wunder, daß der Berg als unbesteigbar galt«, sagte Bazin. »Als Petrarca damals unterwegs war, trafen sie einen Schäfer, der ihnen aufs dringlichste abriet, den Aufstieg fortzusetzen. Es war wegen dieses schwarzen Waldes, der den Gipfel wie ein finsterer Gürtel umgibt. Hier ist es nicht geheuer. Hier hat der christliche Gott nicht viel zu sagen. Und auch den antiken Gottheiten ist es hier zu zugig und zu unheimlich.«
    Sie hielten sich nahe beieinander, denn die Wolken, die sich in den Bäumen verfingen, begrenzten die Sicht auf nur wenige Meter. Schließlich kehrten sie zum Auto zurück. Bazin hatte eine Thermoskanne und zwei Gläser dabei. Ehe sie weiterfuhren, schenkte er heißen Rotwein aus. Bazin war sprühender Laune. Er spürte, daß sein Begleiter höchstes Interesse zeigte. Der sagte zwar kaum etwas, doch die Art, wie er zuhörte, versetzte den einsamen Monsieur Bazin in wachsende Begeisterung.
    »Es heißt, Petrarca sei nach Vaucluse gezogen, weil er die Einsamkeit liebte und das karge Leben. Das ist nicht richtig. Er liebte sehr wohl den Umgang mit Menschen, er liebte den Wein und das gute Essen. Doch in Avignon konnte er es nicht riskieren, sich mit Laura heimlich zu treffen. Vaucluse war der richtige Ort. Die Städter kamen bereits damals oft, um dieses Naturwunder zu sehen, dessen Wasser als heilkräftig galt. Petrarca hatte bemerkt, daß er in diesem engen Tal wie zwischen den Beinen einer steinernen Frau lebte, an einem locus amoenus, einem Ort der Liebe. Wenn er in vielen Gedichten Lauras Körper mit einer Landschaft verglich, so war es in diesem Fall umgekehrt. Es kam vor, daß das klare Wasser der Sorgue, das am Ende des Tales aus der Tiefe kommt, sich plötzlich rot färbte. Man sah es als ein Wunder an. Manche hielten es für ein schlechtes Omen. Petrarca sah darin die Regelblutung einer Frau. Heute wissen wir, daß solche Verfärbungen auf unterirdische Höhleneinbrüche in Gegenden mit roter Erde zurückzuführen sind.«
    Sie kamen jetzt aus der Waldzone heraus. Auch die Wolken lagen unter ihnen. Der Himmel war von einem metallischen Blau. »Es ist die gleiche Farbe, die die Quelle hat«, sagte Bazin. »Ein Phänomen der unendlichen Tiefe. Petrarca faszinierte die Bodenlosigkeit dieses engen Schlundes. Es war eine sexuelle Obsession. Nur die Blindheit der Historiker und Geisteswissenschaftler kann dies übersehen. Schreibt er nicht: In der Hoffnung, ich könnte in diesen kühlen Schatten die Glut der Jugend mäßigen, habe ich mir schon als junger Mann angewöhnt, hierher zu flüchten, wie in eine uneinnehmbare Festung. Ich ahnungsloser Tor! Aus der erwarteten Linderung wurde mein Verderben. Denn jene feurigen Gedanken, die ich in diese Einöde mitbrachte, wo es für die Feuersbrunst keine Abhilfe gab, verzehrten mich um so wilder; und so hauchte mein Mund die Glut meines Herzens aus, und durch die Täler hallte mein trostloses und doch, wie manche meinen, melodisches Klagen.
    Das sind genauso schöne wie deutliche Worte, mein lieber Francesco. Es fällt mir nicht schwer, mir den großen Poeten am Ufer der Quelle in einer Situation vorzustellen, die in der Öffentlichkeit als anstößig gilt. Er hat bestimmt versucht, diese Frau zu schwängern. Sie sollte ihm Kinder gebären.
‘Seht den großen Felsen bei dem Quell
    und erblickt ihn dort wie
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