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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis
Autoren: Henning Boetius
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Francesco aus dem Seitenfenster in schwindelnde Tiefen sah. Seine Hände krampften sich zusammen. »Ich sehe, daß Sie immer noch am Leben hängen«, fuhr Bazin fort. »Das zeigt, daß in Ihrem Fall noch Hoffnung auf Heilung besteht. Sie müssen diesen Wahn, Ihre Laura zu lieben und von ihr geliebt zu werden, aus sich herausbrennen. So hat man früher Wunden behandelt, damit sie sich nicht entzündeten. Ein schönes Bild, nicht wahr? Man brennt etwas heraus, damit es sich nicht entzündet.«
    Vor ihnen war ein Berg aufgetaucht. Eine mächtige Kuppe mit einer weißen Haube aus Schnee. »Das ist er. Unser Ziel. Der Berg des Windes! Petrarca war der erste denkende Mensch, der ihn bestiegen hat. Es war im Jahr 1336. Damals galt dieser Gipfel als unbesteigbar. Ein Sitz der Götter und Dämonen. Es gab natürlich auch keine Straße hinauf. Petrarca ging zu Fuß, mit seinem Bruder und zwei Dienern, die eine beträchtliche Menge an Wein und kaltem Fleisch mit sich schleppten. Nach einigen Stunden war er, im Gegensatz zu den anderen, müde und erschöpft.
    Um Kräfte zu sammeln, wich Petrarca vom geraden Weg nach oben ab. Er ging schräg zum Hang und querte dabei einige Täler, die vom Gipfel nach allen Seiten hinabführten. Hierbei machte er eine interessante Beobachtung: Das Abweichen vom geraden Weg versetzte ihn zuweilen in die scheinbar glückliche Lage, bergab zu gehen, wenn er in eine dieser Rinnen geriet. Es war eine Lust, der Schwerkraft nachgeben zu dürfen. Doch er hatte sie teuer zu bezahlen, denn er mußte ja aus dem Längstal wieder hinaus. Er erkannte, daß es nutzlos, ja schädlich ist, vom geraden oder direkten Weg abzuweichen. Das Auf und Ab war schlimmer als die gleichbleibende und lästige Mühe des Aufstiegs.
    Bald war er zudem allein. Er hatte den Bruder und die zwei Begleiter aus den Augen verloren. Verzweiflung packte ihn. Manchmal warf er sich auf den kargen Boden und flehte die Götter an, ihm beizustehen, ihm neue Kraft zu geben und den rechten Weg zu zeigen. Die Götter, sagte ich? Nein, das ist nicht richtig. Es gab für Petrarca nur einen Gott: seine Liebe zu Laura.
    Als er Stunden später im Abendlicht völlig erschöpft den Gipfel erreichte, hatte ihm dieser Gott geholfen. Unter einer Bedingung: Petrarca mußte fortan die Erkenntnis von der Lust und Gefahr seitlichen Abweichens vom Ziel auf sein eigenes Leben anwenden. Dies ist ihm wahrlich bitter angekommen. Aber nur so ließ der Gott der Liebe sich gnädig stimmen.
    Bald nach der Besteigung des Mont Ventoux gab Petrarca seine heimlichen Treffen mit der Geliebten auf. Vorher fragte er sie jedoch, ob sie ihren Mann verlassen würde, um mit ihm zu leben. Dies war der gerade Weg.
    Donna Laura hingegen zögerte. Sie war hin- und hergerissen zwischen ihrem starken Gefühl und ihrem Sinn für Realität. Beides war bei ihr sehr ausgeprägt. Darin war sie eine typische Frau. Was sollte sie also tun! Sie liebte diesen stürmischen Francesco. Sie mochte die Art, wie er in Bildern und Widersprüchen redete. Er war unendlich unterhaltsamer als ihr verknöcherter Mann, und er verstand es auch, sie richtig anzufassen. Dieser jedoch verfügte über eine angesehene Stellung in der Gesellschaft, während ihr Geliebter ein Bohemien war, ein Paradiesvogel, mit dem sich die Adligen und Geistlichen der Region gerne schmückten, ohne ihn auf ihre Stufe zu heben.
    Petrarcas ganze angebliche Ruhmsucht hängt mit dieser bedürftigen Situation zusammen. Ihn interessierte eigentlich der Ruhm, der Erfolg überhaupt nicht, doch er brauchte ihn, um so leben zu können, wie es seinem Schreiben angemessen war. Finanziell unabhängig. Unabhängig von Intrigen, von politischem Druck. Es war ein harter und steiler Weg. Er wußte, daß ihn eine Frau aus besseren Kreisen nie auf diesem Weg begleiten würde. Deshalb nahm er sich später ein einfaches Bauernmädchen ins Bett und zeugte zwei Kinder mit ihr. Es tat seiner Liebe zu Laura keinen Abbruch, auch in den folgenden Jahren nicht, in denen sie keinen direkten Kontakt mehr miteinander hatten.
    Als die Woche Bedenkzeit um war, die Donna Laura sich erbeten hatte, verwandelte ihr Freund die Kälte seines Begehrens in das Feuer einer platonischen Leidenschaft. Eine mühsame und qualvolle Verwandlung, die erst nach vielen Jahren gelang. Freundschaften, Reisen, Erfolg brachten Linderung, aber es gab auch Krisen, die Petrarca an den Rand der Lebensfähigkeit führten. Zum Abschied bat er Laura übrigens um eine Gunst, die sie ihm nach
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