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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf!
Autoren: authors_sort
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darin und warf sie zu dem Rest des Geldes aufs Bett.
    An einem der Scheine haftete ein Zettel. Sie nahm ihn und glättete ihn und war froh, daß sie zum Lesen offensichtlich keine Brille brauchte. Sie erkannte die kraftvollen, flüssigen Züge auf dem Zettel wieder; sie waren von derselben Hand geschrieben, die unten am Empfang das Anmeldeformular unterzeichnet hatte. Sie selbst hatte also die wenigen, allem Anschein nach belanglosen Wörter niedergeschrieben, die sie nun vor sich hatte. Aber wann? Solche Zettel konnten sich wochen-, ja monatelang in vergessenen Manteltaschen herumtreiben. Es war unmöglich festzustellen, wann sie diesen hier geschrieben hatte. >Pat Rutherford, Z. 31, 12.30<, stand da, und darunter, >Milch, Eier<. Was hatte das zu bedeuten?
    Nun, offensichtlich, daß sie Milch und Eier gebraucht hatte - sie war ja zum Einkaufen unterwegs gewesen, als ihr Gedächtnis plötzlich ausgesetzt hatte, aber wie lange war es her, daß sie losgegangen war? - und eine Verabredung mit einer Person namens Pat Rutherford gehabt hatte. Aber wer zum Teufel war Pat Rutherford?
    Sie sprach den Namen mehrmals mit wachsender Frustration vor sich hin. War Pat Rutherford ein Mann oder eine Frau? Vielleicht war sie selbst Pat Rutherford. Aber weshalb hätte sie ihren eigenen Namen und eine Zimmernummer auf einen Zettel schreiben und einstecken sollen? Doch höchstens, wenn sie häufiger an diesen Gedächtnisstörungen litt und die Erfahrung sie gelehrt hatte, immer einen Zettel mit ihrem Namen bei sich zu
tragen, damit sie sich jederzeit ihrer Identität vergewissern konnte. Klar, und sich mit sich selbst verabreden konnte! Schluß mit dem Quatsch.
    Hatte sie die Verabredung eingehalten? Hatte sie Pat Rutherford zur vereinbarten Zeit aufgesucht, knapp zehntausend Dollar kassiert und den oder die Unglückliche dann getötet? War das Pat Rutherfords Blut auf ihrem Kleid? Hatte sie Pat Rutherford erpreßt? Oder hatte Pat Rutherford sie erpreßt? War sie völlig übergeschnappt? Woher kamen diese Hirngespinste?
    »Pat Rutherford, wer bist du?«
    Sie fand in der Nachttischschublade ein Telefonbuch von Boston und blätterte zu R: Raxlen, Rebick, Rossiter, Rumble, seitenweise Russels, Russo, Rutchinski, endlich Rutherford, eine halbe Seite Rutherfords allein im Stadtgebiet. Es gab einen Paul und zwei Peter, aber niemanden namens Pat, allerdings drei unerklärte P.’s. Sie spielte mit dem Gedanken, bei jeder dieser Nummern anzurufen, und verwarf ihn gleich wieder. Was würde sie denn zu Mr./Mrs./Miss P. Rutherford sagen? Guten Tag, Sie kennen mich wahrscheinlich nicht, ich kenne mich ja selbst nicht, aber haben wir uns vielleicht irgendwann in der letzten Zeit mittags um halb eins in Zimmer 31 getroffen? Und habe ich Sie bei dieser Zusammenkunft zufällig schwer verletzt?
    Absurd.
    Sie packte das Telefonbuch wieder weg. »So, und was mach ich jetzt?« fragte sie laut, den Blick zur Zimmerdecke gerichtet. Sie war todmüde und hungrig. »Geh ich zur Polizei, oder versuche ich, dieser Geschichte selbst auf den Grund zu kommen? Mach ich mich auf den Weg zur nächsten Irrenanstalt, oder nehm ich erst mal ein Bad? Soll ich gleich was unternehmen oder lieber bis morgen warten? Was soll ich tun?« Zerstreut blätterte sie in der großen Speisekarte des Etagenservice. »Im Zweifel erst mal was essen«, hörte sie sich antworten.
    Sie hatte keine Ahnung, wo sie diese Weisheit herhatte, aber
die Lösung war nicht schlecht. Sie griff zum Telefon, wählte den Etagenservice und bestellte sich ein Steak und einen großen Salat. Sie brauchte nur einen Moment, um die ihr gestellten Fragen zu beantworten: Das Steak halb durch, zur gebackenen Kartoffel saure Sahne, statt Wein lieber Mineralwasser. Vegetarierin war sie offenbar nicht, und sie konnte nur hoffen, daß sie nicht an irgendwelchen seltsamen Lebensmittelallergien litt. Für solche Komplikationen war sie jetzt viel zu hungrig.
    Zwanzig Minuten, hatte man ihr gesagt. Zwanzig Minuten, um sich frisch zu machen. Sie hängte ihren Mantel über einen hohen gradlehnigen Stuhl und ging in das weiß gekachelte Bad.
    Wie schön wäre es, einfach zu verschwinden, dachte sie, während ihr das Wasser aus der Dusche über das Gesicht strömte. Mein Geist ist sowieso schon weg; dann nehmt doch auch meinen Körper. Was immer ich getan habe, wer immer ich sein mag, vielleicht ist es besser, es nicht zu wissen. Vielleicht bin ich so besser dran. Vielleicht ist das, wovor ich davongelaufen bin, von solcher
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