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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf!
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»Ich bin sehr müde. Ist das denn notwendig?« Sie stieß das Blatt Papier über den Tisch zurück.
    Jetzt zeigte er Verwirrung. »Tut mir leid, aber wir brauchen wenigstens Name und Adresse.«
    Ihr Blick huschte vom Gesicht des jungen Mannes zur Drehtür und blieb schließlich an der Zeitschrift hängen, die sie immer noch fest in den Händen hielt. »Cindy«, sagte sie allzu laut. Dann noch einmal, leiser, sicherer: »Cindy.«
    »Cindy?«
    Sie nickte und sah zu, wie er widerstrebend einen Stift nahm und den Namen auf die Karte schrieb.
    »Und der Nachname?«
    Warum tat er ihr das an? Hatte sie ihm nicht gesagt, sie sei müde? Hatte er nicht begriffen, daß sie bar zahlte? Warum mußte er nach Dingen fragen, die ihn gar nichts angingen? Sie dachte an das junge Paar und seine beiden kleinen Söhne, die nach McDonald’s gebrüllt hatten. Kein Wunder, daß die Jungen quengelig und ungeduldig gewesen waren. Hatte er diesen Leuten auch so zugesetzt?

    »McDonald!« sagte sie, ohne zu überlegen. »Cindy McDonald.« Noch einmal holte sie Luft, ehe sie fortfuhr. »Memory Lane 123 - New York.«
    Bei dem Wort Memory stockte seine Hand, und sie mußte sich auf die Lippe beißen, um das aufkommende hysterische Gelächter zurückzuhalten. Aber dann war das Formular ausgefüllt, sie brauchte nur noch zu unterschreiben und zu bezahlen. Sie sah, wie ihre Hand den fremden Namen unten auf das Blatt setzte, und war angenehm überrascht von Schwung und Kraft ihrer Unterschrift. Dann griff sie in ihre Manteltasche, zog zwei knisternde Hundert-Dollar-Scheine heraus und bemühte sich, nichts von ihrer Erheiterung über das sichtliche Unbehagen des jungen Mannes merken zu lassen.
    »Gepäck?« Sein resignierter Ton verriet, daß er die Antwort schon wußte. Als sie den Kopf schüttelte, zuckte er auch nur die Achseln und reichte ihr zusammen mit dem Wechselgeld ihren Zimmerschlüssel. »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Wenn wir noch irgend etwas für Sie tun können, lassen Sie es uns wissen.«
    Sie lächelte. »Worauf Sie sich verlassen können.«
     
    Sobald sie die Zimmertür hinter sich geschlossen hatte, schleuderte sie die Zeitschrift auf das breite Bett, zog den Mantel aus und ließ ihn zu Boden fallen. Der Anblick des Blutes auf ihrem Kleid traf sie mit einer Gewalt, als hätte man ihr eine überreife Tomate ins Gesicht geworfen. »O Gott, nein!« stöhnte sie. »Das ist ja furchtbar!«
    Sie riß und zerrte an dem Kleid wie ein Tier, das in einer Schlinge hängt. Im nächsten Moment lag es auf dem Boden, und sie suchte an ihrem Körper nach Verletzungen.
    Es waren keine zu sehen.
    »O Gott, was hat das zu bedeuten? Was hat das zu bedeuten?«
    Mit heftiger Bewegung drehte sie sich um, als könnte sie die
Antwort irgendwo innerhalb dieser blau-weiß gemusterten Wände finden. Aber die Wände sprachen nur von freundlich geblümter Behaglichkeit, von Blut und Verwundung sagten sie nichts. »Wessen Blut ist das, wenn es nicht meines ist?«
    Sie lief zum Kleiderschrank, riß ihn auf und sah ihr angstvolles Gesicht im großen Spiegel an der Innenseite der Tür. »Wer bist du, verdammt noch mal? Und wessen Blut ist das an deinem Kleid?«
    Die Frau im Spiegel sagte nichts, äffte sie nur stumm nach, während sie an ihrem Körper nach Spuren von Verletzungen suchte. Auf ihren Armen entdeckte sie zwar ein paar blaue Flecke, aber das war auch alles.
    Hastig hob sie die Arme hinter den Rücken und öffnete den Verschluß ihres fleischfarbenen Büstenhalters, warf ihn weg und starrte auf die kleinen Brüste, die da recht stolz aus der Verhüllung sprangen. Flüchtig fragte sie sich, ob sie an diesen Brüsten je ein Kind gestillt hatte. Eigentlich ein ganz hübscher Busen, dachte sie, bewußt bemüht, sich durch Konzentration auf alltägliche Einzelheiten eines alltäglichen Lebens zu beruhigen. Würde solche Konzentration sie schließlich in ihr eigenes alltägliches Leben zurückführen?
    Nein. Der eigentlich ganz hübsche Busen sagte ihr nichts. Nicht, ob je ein Säugling an ihm gelegen hatte; nicht, wann er zum ersten Mal die zärtliche Berührung eines Mannes gespürt hatte; nicht einmal, ob er je bewundert worden war. Sie stieß ein kurzes Lachen spöttischer Geringschätzung aus; sie war offensichtlich nahe daran durchzudrehen. Da stand sie in einem Hotelzimmer mitten in Boston, einer Stadt, die sie kannte, ohne zu wissen, wie sie dahingekommen war, hatte die Taschen voller Geld und das Kleid voller Blut und hatte nichts
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