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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf!
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Besseres zu tun, als im Spiegel ihren nackten Busen anzugaffen und sich zu fragen, ob er je bewundert worden war.
    Und warum nicht? dachte sie, faßte das Gummiband ihrer
Strumpfhose und zog sie zusammen mit dem beigefarbenen Bikinihöschen herunter, um ihren nackten Körper in Augenschein zu nehmen. Was hoffte sie von ihm zu erfahren?
    Gute Figur, stellte sie fest, während sie sich von allen Seiten betrachtete. Straff, muskulös, beinahe knabenhaft. Die Waden waren gut entwickelt, die Beine kräftig und wohlgeformt, der Bauch flach, die Taille nicht übermäßig betont. Mehr ein Kinderkörper als ein Frauenkörper, trotz ihres Alters. Ein Körper, der ganz bestimmt nicht auf der Titelseite einer Zeitschrift landen würde, dachte sie mit einem Blick auf das Heft auf dem Bett. Cindy Crawford starrte sie mit einer Mischung aus Mitleid und Nachsicht an. Ja, werd nur grün vor Neid, schien sie zu sagen, und die Frau vor dem Spiegel nickte in Anerkennung der Niederlage.
    Sie griff nach dem blauen Kleid zu ihren Füßen und mied dabei sorgfältig das blutgetränkte Vorderteil. Konnte das Kleid ihr etwas verraten? Dem Etikett nach war es Größe 36, reine Baumwolle, ein Modell von Anne Klein. Es hatte einen runden Kragen und große weiße Knöpfe bis zur Taille, einen schlichten, leicht ausgestellten Rock, und war vermutlich so übertrieben teuer gewesen, wie es übertrieben einfach war. Wer immer sie auch war, sie hatte offensichtlich genug Geld, um sich das Beste zu leisten.
    »Das Geld!« Sie rannte zu dem achtlos hingeworfenen Mantel und zog mit nur einem flüchtigen Gedanken daran, was für einen lächerlichen Anblick sie bieten mußte, die Scheine aus den tiefen Taschen. Das Reservoir an Hundert-Dollar-Noten schien unerschöpflich zu sein. Wieviel Geld hatte sie bei sich? Woher hatte sie es? »Was tue ich mit dem vielen Geld?« fragte sie laut, während sie die Scheine ordentlich auf dem Bett auszulegen versuchte.
    Überrascht stellte sie fest, daß die meisten Scheine sauber gebündelt waren, wie direkt von der Bank. Aber wieso und warum? War es möglich, daß sie tatsächlich eine Bankräuberin war? Das
sie bei einem Raubüberfall mitgemacht, das Geld eingesteckt hatte und mit fremdem Blut bespritzt worden war, als irgend etwas schiefgegangen war? War es möglich, daß sie einen Menschen erschossen hatte?
    Eine tiefe Angst packte sie. Denn es erschien ihr möglich. Es erschien ihr möglich, daß sie fähig sein könnte, einen Menschen zu töten. »O Gott, o Gott«, stöhnte sie und rollte sich auf dem königsblauen Spannteppich zusammen wie ein kleines Kind. Hatte sie wirklich bei einem Raubüberfall einen unschuldigen Menschen getötet? Und war sie allein gewesen, oder hatte sie einen Komplizen gehabt? War sie vielleicht eine moderne Bonnie, der ihr Clyde abhanden gekommen war?
    Sie hörte sich lachen, und das Gelächter trieb sie wieder in die Höhe. Obwohl es ihr durchaus möglich erschien, daß sie jemanden getötet hatte, erschien ihr die Vorstellung, sie könnte an einem Banküberfall teilgenommen haben, schlicht lachhaft. Da hätte sie schon in auswegloser Verzweiflung sein müssen. Und was konnte eine teuer gekleidete Frau Anfang bis Mitte Dreißig in solche Verzweiflung treiben, daß sie sogar zu töten bereit war?
    Sie brauchte ihr Gedächtnis nicht, um sich diese Frage zu beantworten. Ein Mann konnte einen zu solcher Verzweiflung treiben. Und was für ein Mann? fragte sie sich, ohne auf diese Frage eine Antwort zu erwarten.
    Mit zitternder Hand fuhr sie sich durch das schweißfeuchte Haar. Sie neigte sich wieder über das Bett, auf dem ordentlich im Karree aufgereiht neun Bündel Geldscheine lagen. Sie nahm das erste Bündel, zog die Heftklammer ab, die die Scheine zusammenhielt, und begann zu zählen. Sie zählte sie alle durch und stellte fest, daß jedes Bündel aus zehn Hundert-Dollar-Noten bestand. Neun Bündel zu je zehn Hundert-Dollar-Scheinen, das machte neuntausend Dollar. Zählte man das Geld dazu, das sie für Taxi und Hotel ausgegeben hatte, und die losen Hunderter, so kam man auf etwas über neuntausendsechshundert Dollar.
Was hatten fast zehntausend Dollar in ihren Manteltaschen zu suchen?
    Sie merkte plötzlich, daß ihr kalt war und sie auf den Armen eine Gänsehaut hatte. Sie stand auf, ging um das Bett herum und hob den Mantel vom Boden auf. Sie sah das getrocknete Blut an seinem Innenfutter, als sie hineinschlüpfte und die Hände in die Taschen steckte. Sie fand noch ein paar Scheine
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