Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf!
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Blick auf die Fahrbahn. Als ein Taxi sich näherte, wurde der Faden, der ihren rechten Arm dirigierte, mit einem Ruck in die Höhe gezogen. Das Taxi hielt am Straßenrand vor ihr an. Ohne weitere Überlegung zog sie die hintere Wagentür auf und stieg ein.

2
    Sie hätte nicht sagen können, warum sie das Lennox Hotel wählte. Vielleicht weil es eines der ältesten Bostoner Hotels und daher kleiner und irgendwie echter als seine modernen Konkurrenten war oder vielleicht weil schöne Erinnerungen an frühere Aufenthalte noch in ihrem Unterbewußtsein verankert waren; sie wußte es nicht. Es war sogar möglich, daß sie hier schon als Gast eingetragen war, sagte sie sich hoffnungsvoll, als sie zum Empfang ging und, wie zuvor in dem kleinen Laden, um ein Lächeln des Wiedererkennens betete.
    Sie mußte warten. Vor ihr war ein Ehepaar mit seinen zwei kleinen Söhnen, flachsköpfigen kleinen Teufeln in Matrosenanzügen, die ihrer Mutter am Rockzipfel hingen und laut klagend dem ganzen Foyer ihr Ungemach mitteilten.
    »Ich hab Hunger«, rief der Kleinere, vielleicht vier Jahre alt, und zog seiner Mutter den Rock bis über das Knie in die Höhe, als hätte er die Absicht hineinzubeißen.
    »Ich will zu McDonald’s«, assistierte sofort der Bruder, der höchstens ein Jahr älter war.
    »McDonald’s, McDonald’s!« Mit diesem Schlachtruf tobten sie um ihre hilflosen Eltern herum, die sich alle Mühe gaben, so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung.
    »Laßt Mama und Papa erst mal ein Zimmer nehmen, dann suchen wir uns ein schönes Restaurant, hm?« sagte die junge Mutter flehentlich und fixierte ihren Mann mit einem Blick, der ihn drängte, schneller zu machen.
    »McDonald’s! McDonald’s!« schallte es augenblicklich.
    Aber dann waren die Formalitäten endlich erledigt, die ganze Familie wurde von einem fürsorglichen Pagen zum wartenden Aufzug geführt, und über das Foyer legte sich wieder die Aura eines vornehmen Hotels europäischen Stils.

    »Kann ich Ihnen behilflich sein, Madam? - Madam?«
    »Oh, entschuldigen Sie«, sagte sie, als sie merkte, daß der junge Mann am Empfang sie meinte. »Ich hätte gern ein Zimmer.«
    Er begann schon in seinen Computer zu tippen. »Für wie lange?«
    »Ich weiß nicht genau.« Sie räusperte sich einmal, dann noch einmal. »Für wenigstens eine Nacht. Vielleicht zwei.«
    »Ein Einzelzimmer?« Er spähte an ihr vorbei, um zu sehen, ob sie allein war, und sie drehte automatisch den Kopf.
    »Ja, ein Einzelzimmer. Bitte.« Denk an deine Manieren, sagte sie sich und hätte beinahe gelacht.
    »Ich habe ein Zimmer«, sagte der junge Mann, den Blick auf den Bildschirm gerichtet, »zu fünfundachtzig Dollar. Es ist in der achten Etage, Nichtraucher, mit Doppelbett.«
    »Wunderbar.«
    »Und wie bezahlen Sie?«
    »Bar.«
    »Bar?« Zum ersten Mal sah der junge Mann sie direkt an. Nie zuvor hatte sie Augen von einem so intensiven Blau gesehen. Glaubte sie jedenfalls. Mit Sicherheit konnte sie es nicht sagen. Gott allein wußte, was sie alles in ihrem Leben gesehen hatte.
    »Ist Ihnen Barzahlung nicht recht? Nehmen Sie kein Bargeld?«
    »Doch, doch, natürlich. Es kommt nur selten vor, daß jemand bar bezahlt. Die meisten Leute zahlen mit Kreditkarten.«
    Sie nickte stumm, dachte, daß sie in ihrem anderen Leben zweifellos auch zu diesen Leuten gehörte, und fragte sich, wie ein Mensch so unglaublich blaue Augen haben konnte.
    »Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte der junge Mann irritiert.
    »Oh, entschuldigen Sie«, stammelte sie. »Es sind nur ihre Augen. Sie sind so unwahrscheinlich blau.« Dumme Gans, sagte sie sich, der Junge glaubt wahrscheinlich, du willst ihn anmachen.

    »Ach, das sind gar nicht meine«, erwiderte er fröhlich und wandte sich wieder seinem Bildschirm zu.
    »Wie bitte?« Der Verdacht rührte sich in ihr, daß sie von einem anderen Stern gekommen sei.
    »Das sind Kontaktlinsen«, erklärte er unbekümmert. »Zwei Nächte, sagten Sie?«
    Es bereitete ihr große Mühe, dem Gespräch zu folgen. Die Panik, die während der Taxifahrt allmählich nachgelassen hatte, kehrte wieder. »Ja, höchstens zwei Nächte.« Und dann? Wohin sollte sie gehen, wenn sie dann immer noch nicht wußte, wer sie war? Zur Polizei? Warum war sie nicht gleich dorthin gegangen?
    »Bitte füllen Sie mir das noch aus.« Der junge Mann schob ein Blatt Papier über den Tisch. »Name, Adresse und so weiter«, erläuterte er, als er ihre Verwirrung sah. »Ist Ihnen nicht gut?«
    Sie holte tief Atem.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher