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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf!
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knüllte sie das Kleid zusammen und schleuderte es an die Wand. Wie zum Hohn entfaltete es sich im Herabfallen wieder. Sie kehrte zu ihren Platz am Fußende des Bettes zurück und starrte blind vor sich hin, bis die schräg durch das Fenster einfallenden Sonnenstrahlen ihr sagten, daß es Abend war.
    Die Nachrichten um halb sieben meldeten neue Probleme, aber immer noch nichts von einer verschwundenen Frau mit Blut auf dem Kleid und viel Geld in den Taschen.
    »Wer bin ich?« rief sie, schaltete zornig den Fernsehapparat aus und bestellte sich beim Etagenservice ein Abendessen, wobei sie sich über die Unverwüstlichkeit ihres Appetits wunderte. »Was ist mir passiert? Wo habe ich mein Leben hingepackt?«
    Zu Beginn des nächsten Tages wußte sie, daß sie sich auf die Suche machen mußte.
     
    Copley Place ist ein beeindruckender Komplex von Büro- und Geschäftsbauten am Copley Square, dem Herzen der Back Bay. Es gibt dort ein großes Hotel, mehrere gute Restaurants und über hundert Läden und Kaufhäuser, die über zwei Ebenen verteilt sind.

    Aber sie war nicht beeindruckt. Sie war verängstigt.
    Unter dem Mantel nur die Unterwäsche, die bloßen Füße in die engen Schuhe gezwängt, näherte sie sich dem ultramodernen Kaufhaus am Ende des Einkaufszentrums. In der Hand hielt sie eine Plastiktüte für schmutzige Wäsche aus dem Hotel, die mit sauberen Bündeln von Hundert-Dollar-Scheinen gefüllt war. Unter dem Geld lag ein zweiter Wäschebeutel, der ihr blutverschmiertes Kleid enthielt.
    »Kann ich Ihnen vielleicht helfen?«
    Sie sah sich um, entdeckte, daß sie irgendwie in die Abteilung für Damenbekleidung gelangt war, und nickte der vogelähnlichen Frau an ihrer Seite zu. Wenn sie jetzt etwas gebrauchen konnte, dann Hilfe.
    »Ich brauche ein paar neue Sachen«, sagte sie in täuschend ruhigem Ton. »Ich habe überhaupt nichts anzuziehen.«
    Die Verkäuferin beugte sich interessiert vor. »Sie brauchen eine neue Garderobe?« fragte sie eifrig.
    »Nein, ich brauche nur etwas für heute.«
    Die Hoffnung auf eine dicke Provision erlosch im hageren Vogelgesicht der Frau. »Möchten Sie sich etwas Elegantes ansehen oder eher etwas Sportliches?« fragte sie zurückhaltend, als wäre sie nicht sicher, ob sie vielleicht zum besten gehalten wurde.
    »Sportlich. Hosen vielleicht und einen leichten Pulli.«
    »Dann kommen Sie bitte mit.« Die Frau führte sie in einen Teil der Etage mit einer verlockenden Auswahl an Sommersachen. »Welche Größe?«
    Sie hielt den Atem an, während sie versuchte, sich an die Größe des blauen Kleids zu erinnern. »Sechsunddreißig?«
    »Tatsächlich?« Die Frau musterte ihren Mantel so scharf, als könne sie durch ihn hindurchsehen. »Ich hätte auf vierunddreißig getippt.«
    »Da haben Sie vielleicht recht. Ich habe in den letzten Tagen wahrscheinlich etwas abgenommen.«

    »Gratuliere! Ich weiß, wie mühsam das sein kann. Ich selbst habe mein Leben lang nie mehr als fünfundvierzig Kilo gewogen, aber meine Tochter, die Ärmste, sie schlägt nach der väterlichen Seite der Familie und muß ständig aufpassen. Sie können, wirklich froh sein.«
    So albern es war, sie war beinahe stolz.
    »Und jetzt gönnen Sie sich eine Belohnung, hm?« fuhr die Verkäuferin fort. »Recht haben Sie. Die haben Sie sich verdient. Aber viel mehr sollten Sie nicht mehr abnehmen, finde ich. Wenn man als Frau ein gewisses Alter überschritten hat, sieht man mit ein paar Pfund mehr besser aus.« Sie nahm eine beigefarbene Hose von einem Ständer und einen kurzärmeligen cremefarbenen Baumwollpulli mit braunen Blumen auf einer Seite von einem anderen. »Gefällt Ihnen das?«
    Gefiel es ihr?
    »Probieren Sie die Sachen doch einfach mal an. Dann wissen wir gleich besser, wonach wir suchen.«
    Sie nickte, nahm Hose und Pulli und folgte der Frau zu den Kabinen.
    »Ich bin gleich hier draußen, wenn Sie mich brauchen sollten.«
    Sie trat in die kleine Kabine und zog den Vorhang fest zu, ehe sie ihren Mantel ablegte. Dann schlüpfte sie in die beigefarbene Hose, Größe vierunddreißig, und zog den hellen, kurzärmeligen Pulli über den Kopf. Sie bekam die Hose ohne Mühe zu; der Pulli fiel locker und bequem von ihren Schultern. Sie trat einen Schritt zurück und musterte sich im Spiegel. Gar nicht übel. Die Verkäuferin hatte einen guten Blick.
    »Na, wie sieht’s aus?« rief die Frau von der anderen Seite des Vorhangs.
    »Gut«, antwortete sie und trat in ihren neuen Sachen aus der Kabine. »Ich nehme beides.
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